Verschwörungstheorien lenken von realen Problemen ab und unterlaufen häufig fundierte Machtanalysen. Dass Verschwörungstheorien von realen Problemen ablenken, hat schon der italienische Schriftsteller, Philosoph und Medienwissenschaftler Umberto Eco betont. Er schrieb:
«Jede Verschwörungstheorie richtet die öffentliche Phantasie auf inexistente Gefahren und lenkt sie von den echten Bedrohungen ab.»
Er erläutert diese Aussage detaillierter mit dem Beispiel der Anschläge von 9/11 in den USA:
«Von den Hirngespinsten über ein mutmaßliches Komplott profitieren vor allem diejenigen Institutionen, auf die es die Verschwörungstheorie abgesehen hatte. Mit anderen Worten, wenn man sich vorstellt, Bush habe für den Einsturz der Twin Towers gesorgt, um den Irakkrieg zu rechtfertigen, bewegt man sich zwischen verschiedenen Halluzinationen und verzichtet darauf, die Techniken und wirklichen Gründe für Bushs Intervention im Irak zu analysieren und zu klären, welchen Einfluss die Neocons auf ihn und seine Politik gehabt haben.»
Siehe dazu auch: Ablenkung durch Verschwörungstheorien statt Lösung realer Probleme
Der Soziologe Ueli Mäder zu unterlaufenen Machtanalysen
Der Soziologe Ueli Mäder (geboren 1951) ist emeritierter Professor an der Universität Basel und der Hochschule für Soziale Arbeit. Im Interview mit der Zeitung «Die Oberbadische» weist er darauf hin, dass Verschwörungstheorien fundierte Machtanalysen unterlaufen:
«Verschwörungstheorien kaprizieren sich beispielsweise bei der Pandemie auf eine heimliche Weltregierung und unterlaufen so fundierte Machtanalysen. Sie tendieren auch dazu, Sachverhalte zu personifizieren und lenken damit von realen herrschaftlichen Strukturen ab.»
Auch die von Mäder erwähnte Personalisierung von Sachverhalten lenkt von fundierten Machtanalysen ab. Personalisierung ist oft Bestandteil von Verschwörungstheorien.
Dabei werden einzelne Personen und deren persönliche Eigenschaften stark in den Vordergrund gerückt und die Verantwortung für komplexe politische und gesellschaftliche Ereignisse, Vorgänge und Zustände ausschliesslich diesen Personen zugeschrieben. Der Austausch dieser Personen soll die Lösung aller Probleme bringen. Auf eine Kurzformel bringen dies Bewegungen wie Pegida oder AfD mit dem Slogan: «Merkel muss weg!». Oder schon eine Spur komplexer, doch mit einem zusätzlichen Skurrilitätsfaktor: «Putin nach Berlin, Merkel nach Sibirien!»
Siehe dazu: Personalisierung als Element in Verschwörungstheorien
Fundierte Machtanalysen müssten die komplexen Strukturen und Prozesse moderner Gesellschaften berücksichtigen. Verschwörungstheorien hingegen sind geprägt durch ein stark komplexitätsreduziertes, mechanistisches Welt- und Menschenbild. Sie setzen unrealistischerweise voraus, dass eine kleine Gruppe von Verschwörern die Ereignisse und Vorgänge in der Welt entsprechend ihrer Ziele steuern kann.
Siehe dazu: Mechanistisches Weltbild der Verschwörungstheoretiker
Quelle für das Mäder-Zitat:
Interview: „Niemand ist dagegen gefeit“ (Die Badische)
Quelle der Eco-Zitate:
Umberto Eco: Verschwörungen – Eine Suche nach Mustern, Carl Hanser Verlag 2021