Dass sich rund um die gegenwärtige Corona-Infektion verschiedene Verschwörungstheorien ranken, ist kein spezielles Vorkommnis. Verschwörungstheorien waren schon immer eine Begleiterscheinung von Epidemien.
Darauf hat der Ethnologe Hansjörg Dilger in einem Interview auf „Zeit online“ hingewiesen. Er erforscht, wie Gesellschaften mit Epidemien umgehen.
Auf die Frage, was denn die größten Lehren aus den vergangenen Epidemien seien, antwortet Dilger:
„Eine Lehre ist, dass sich gewisse Muster wiederholen, etwa Verschwörungstheorien, die wir jetzt auch bei Corona sehen. Das finden wir bei allen epidemischen Ausbrüchen. Zuletzt zirkulierte zum Beispiel die Theorie, dass das Virus in einem Hochsicherheitslabor in Wuhan entwickelt wurde. Eine ähnliche Theorie gab es bei HIV / Aids. Damals kursierte in vielen afrikanischen Gesellschaften das Gerücht, der amerikanische Geheimdienst habe das Virus als eine Art Biowaffe entwickelt, um die Bevölkerung in Afrika zu reduzieren.“
Warum Verschwörungstheorien rund um Epidemien?
Und wie ist zu erklären, dass Menschen ausgerechnet in Zeiten, in denen korrekte Informationen über Leben und Tod entscheiden, solche Verschwörungstheorien in die Welt setzen?
Antwort Hansjörg Dilger:
„Es gibt offenbar das Bedürfnis, etwas hinter den offiziellen Informationen zu entdecken. Das Gefühl, da sei noch mehr, das sich aktuell ja auch in Deutschland unabhängig von Corona verbreitet. Im Kontext von Epidemien stellen Verschwörungstheorien zudem oft direkte Zusammenhänge zur globalisierten Welt her. Im Fremden, Entfernten liegt für viele eine Bedrohung….“
Dilger warnt vor Stigmatisierungen und Rassismen als Resultat solcher Verschwörungstheorien, weil sie zu Anfeindungen und sogar zu Morddrohungen oder Gewalt führen können.
Die Vorstellung, dass das Anderssein Epidemien hervorbringt, habe einen langen historischen Vorlauf und werde in epidemischen Momenten aktiviert.
Der Berliner Ethnologe Hansjörg Dilger forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten an der Freien Universität in Berlin zum Umgang verschiedener Kulturen mit Krankheit, Gesundheit und Heilung.
Er ist Professor für Sozial- und Kulturanthropologie leitet an der Freien Universität Berlin die Arbeitsstelle Medical Anthropology.
Quelle:
„Natürlich löst das Ängste aus“
Dass Verschwörungstheorien bei Epidemien eine anthropologische Konstante sind, zeigt auf, dass sie wenig mit den konkreten Epidemie-Ereignissen und ihren Umständen zu tun haben, sondern in den Köpfen der Menschen entstehen. Und jeder Mensch kann kann eine Verschwörungs-Variante kreieren, die zum eigenen Weltbild passt.
Siehe dazu:
Jedem seine eigene Verschwörungstheorie