In einem Rechtsstaat sollte alles mit rechten Dingen zugehen. Es gibt verbindliche Gesetze und Verordnungen. Im Reich der Verschwörungstheorien geht nichts mit rechten Dingen zu. Denn alles ist von verstecken Mächten gelenkt.
Gerichte und Verwaltung sind in einem Rechtsstaat an Regeln gebunden und lassen sich nicht zu politischen Zwecken vereinnahmen. In einem Rechtsstaat kann kein Herrscher die Steuerbehörde anweisen, seine Gegner besonders pingelig zu kontrollieren und seine Freunde zu verschonen. Im Reich der Verschwörungstheorien kommen Gerichte und Verwaltung sehr leicht unter Verdacht, mit den Verschwörern unter einer Decke zu stecken. Sie gehören dann zum «Deep State». Dadurch wird das Vertrauen in die Institutionen zersetzt.
Dass die «Welt des Rechtsstaates» und die «Welt der Verschwörungstheorien» kaum kompatibel sind, lässt sich leicht zeigen.
Wie der Rechtsstaat durch Verschwörungstheorien unterminiert wird – drei Beispiele
☛ Pizzagate
Unter dem Schlagwort Pizzagate behauptete im Jahr 2016 eine Verschwörungstheorie, dass in einer Pizzeria in Washington ein Kinderpornoring tätig sei, bei dem auch die Kandidatin Hillary Clinton mitwirke. Am 4. Dezember 2016 drang ein Mann in die Pizzeria ein, um die angeblich dort festgehaltenen und missbrauchten Kinder im Keller zu befreien. Er gab zwei Schüsse auf ein Türschloss und einen Computer ab. Nachdem der Mann nichts gefunden und festgestellt hatte, dass es keinen Keller gibt, ließ er sich widerstandslos festnehmen. Verletzt wurde bei der Attacke niemand.
In diesem Beispiel nimmt ein Verschwörungsgläubiger das Recht in die eigene Hand. Im Rechtsstaat geht ein Mensch, der ernsthafte Hinweise hat auf Kindsmissbrauch, mit diesem Verdacht zur Polizei und macht eine Anzeige. Pizzagate-Verschwörungstheoretiker tun das nicht. Natürlich haben sie keine Belege. Aber vielleicht trauen sie Polizei und Justiz auch nicht und rechnen sie zu den Verschwörern, zum «Deep State»). Auf die Idee, den Rechtsstaat zur Klärung des Verdachts beizuziehen, kommen die Pizzagate-Verschwörungstheoretiker jedenfalls nicht. Eine Weiterführung der Pizzagate-Verschwörungstheorie wird durch die QAnon-Bewegung bewirtschaftet. Sie behauptet, dass liberale Eliten in Höhlen und Bunkern Kinder gefangen halten und foltern, um ihnen das angebliche Verjüngungsmittel Adrenochrom abzuzapfen. Die Diffamierung politischer Gegner mit der Unterstellung von Kindsmissbrauch geht also weiter. Im Rechtsstaat gilt dagegen: Wer einen Verdacht hat, soll dazu Gründe und Belege liefern – urteilen soll ein Gericht.
☛ Wahlbetrug
Die von Donald Trump bewirtschaftete Verschwörungstheorie des Wahlbetrugs ist insofern speziell, dass Trump anfänglich die Gerichte anruft und damit den Rechtsstaat einbezieht. Das gilt aber nur solange, bis die Gerichte seine Klagen abweisen und seine Positionen nicht teilen. Der Rechtsstaat wird also von Trump nur akzeptiert, falls er auf seiner Seite steht und seine Verschwörungstheorie und seie Lügen teilt. Was eben nicht der Fall war.
☛ Reichsbürger-Bewegung
Die Reichsbürger-Bewegung bestreitet die die Existenz des Staates und lehnt seine Rechtsordnung ab. Das ist die komplette Negierung des Rechtsstaats. Aus dieser Haltung entstehen fortlaufend Konflikte mit Gerichten und Behörden. Reichsbürger weigern sich oft, Steuern zu zahlen, nutzen aber staatliche Infrastruktur, die mit Steuergeldern erstellt wurde, skrupellos mit. Reichsbürger gibt es in grösserer Zahl in Deutschland. Reichsbürger-Vorstellungen kommen aber auch in der Schweiz vor, wie das Beispiel des Tibits-Mitinhabers Christian Frei zeigt.
Fazit
Der Rechtsstaat ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Menschheit. Uns mag er selbstverständlich erscheinen, aber wer Verhältnissen kennt, in denen kein funktionierender Rechtsstaat vorhanden ist, der weiss, was diese Errungenschaft wert ist. Seit einigen Jahren wird der Rechtsstaat auch in Europa angegriffen und demontiert, insbesondere in Ungarn und Polen. Wir sollten diese Errungenschaft in jedem Land entschieden verteidigen.
Siehe auch:
Verschwörungstheorien als Gefahr für den Rechtsstaat
Warum sind Verschwörungstheorien eine Gefahr für demokratische Gesellschaften?