Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Hinweisen darauf, dass Verschwörungstheorien Radikalisierungsprozesse fördern. Doch weshalb ist das so? Dazu äusserte sich Prof. Monika Betzler von der Ludwig-Maximilians-Universität in München:
«Verschwörungstheorien beschleunigen Radikalisierungsprozesse. Denn sie befördern ein klares Feindbild und lassen ihre Anhänger in dem Glauben, zu einer auserwählten Gruppe zu gehören, die die „Wahrheit“ besitzt. Zudem ist der Glaube an Verschwörungstheorien „selbst-isolierend“: Wer Gegengründe oder Beweise gegen die vermeintliche Verschwörung aufführt, bestätigt ihren Anhängern zufolge nur die Verschwörungsthese. Auf diese Weise können Gegen-Gründe und Gegen-Beweise nicht ernst genommen werden. Dies zimmert Anhänger von Verschwörungstheorien in ihrem Weltbild fest und lässt sie immun gegenüber guten Gründen werden. Das öffnet Radikalisierungen Tür und Tor.»
Prof. Dr. Monika Betzler ist Inhaberin des Lehrstuhls V für Praktische Philosophie und Ethik sowie Prodekanin der Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft. Sie leitet das Münchner Kolleg „Ethik in der Praxis“ sowie den Executive Master-Studiengang „Philosophie-Politik-Wirtschaft“ (PPW).
Prof. Monika Betzler nimmt über die Radikalisierungsprozesse hinaus auch Stellung zur Frage, weshalb Verschwörungstheorien bei Gruppen mit völlig verschiedenen Weltanschauungen derzeit gleichermaßen erfolgreich sind:
«Verschwörungstheorien sind attraktiv, weil sie einfache Antworten auf komplexe, schwer durchschaubare und abstrakte Phänomene bieten. Auf diese Weise tragen sie vermeintlich dazu bei, mehr Sicherheit zu gewinnen. Zudem befördern sie die Gruppenidentität und das Gemeinschaftsgefühl. Dies kann für Gruppen mit sehr verschiedenen Weltanschauungen attraktiv sein.»
Quelle:
„Fake News“ und Verschwörungstheorien (LMU München)
Ergänzungen zum Stichwort Radikalisierungsprozesse:
☛ Verschwörungstheorien sind oft ein Schritt auf dem Weg zur Radikalisierung
Über welche Wege radikalisieren sich Menschen? Zu diesem Thema forscht der Kommunikationswissenschaftler Jürgen Grimm seit Jahren. Er erklärt dazu: „Auf dem Weg in die Radikalisierung sind Verschwörungstheorien ein oft beschrittener Pfad.“ Am Anfang stehe stets der Zweifel: „Es sind die Überkritischen, die sich Schritt für Schritt in solche Narrative verstricken.“
☛ Radikalisierung von Extremisten durch Verschwörungsideologien
Verschwörungsideologien fördern Radikalisierungsprozesse hauptsächlich von rechtsextremen Personen und Gruppen. Sie tun das auf dreierlei Weise: Sie verstärken Gut-Böse-Schemata und Gruppengrenzen. Verschwörungsideologien besitzen wegen ihrer identitätsstiftenden Funktion die Kraft, Gruppenkonformität zusätzlich zu verstärken. Sie intensivieren nämlich das Freund-Feind-Bild und führen zu einer stärkeren Verschmelzung mit der eigenen Gruppe.
☛ Verschwörungstheorien als Trigger für Radikalisierung
Verschwörungstheorien fördern Radikalisierungsprozesse hin zu Dschihadismus und Rechtsextremismus. Ein Gespräch mit Dozierenden der Zürich Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur gibt Auskunft dazu.