Im Umfeld des Populismus kommen Verschwörungstheorien offensichtlich vermehrt vor und stossen auf starke Resonanz.
Warum ist das so?
Für Michael Butter liegt der Grund dafür in strukturellen Parallelen zwischen populistischen und konspirationistischen Argumentationsweisen. Daraus entsteht eine grosse Nähe zwischen Populismus und Verschwörungstheorien:
☛ Radikale Komplexitätsreduktion im politischen Feld
Verschwörungstheorien und Populismus vereinfachen beide das politische Feld radikal, indem sie die Zahl der Akteure extrem reduzieren. Sie lehnen beide die Annahme ab, dass in einer modernen Demokratie eine Vielzahl von Akteuren existieren, deren Interessen und Absichten sich zum Teil widersprechen, zum Teil jedoch auch überlappen. Michael Butter sagt in einem Interview im Magazin Cicero: «Der Populismus löst ein Spielfeld mit komplexen Figuren auf in den Gegensatz von Volk und Elite, und die Verschwörungstheoretiker lösen es auf in den Gegensatz: Verschwörer und Opfer der Verschwörer.»
☛ Elitenkritik
Populisten und Verschwörungstheoretiker treffen sich auch in ihrer Elitenkritik. Allerdings unterstellen nicht alle Populisten den kritisierten Eliten auch, Teil eines Komplotts zu sein. Insofern sind nicht alle Populisten auch Verschwörungstheoretiker.
☛ Links/Rechts-Schema
Sowohl Verschwörungstheorien als auch Populismus können links oder rechts angesiedelt sein und sie können diese traditionelle Kategorie gar unterlaufen.
☛ Konservativ in bestimmtem Sinn
Populismus und Verschwörungstheorien sind beide konservativ in dem Sinne, dass sie eine als bedroht empfundene Ordnung beschützen oder eine zerstörte Ordnung wiederherstellen wollen. Insofern sind beide oft von Nostalgie für eine Vergangenheit geprägt, die so nie existiert hat – im Fall der Verschwörungstheorien die Zeit vor dem Komplott der Eliten, im Fall des Populismus die Zeit vor dem Verrat der Eliten am Volk.
Die Kritik an der Gegenwart bezieht sich in beiden Fällen nicht unbedingt auf ökonomische Entwicklungen, auch wenn das auch eine Rolle spielen kann und vor allem auch bei den südamerikanischen populistischen Bewegungen auch ein wichtiger Faktor war. Doch häufig ist es das Gefühl, kulturell zurückgesetzt worden zu sein. Es geht also oft nicht um Wirtschaftspolitik, sondern um Identitätspolitik. Das Gefühl, dass für traditionelle Werte und für den eigenen Lebensentwurf im eigenen Land kein Platz mehr ist, motiviert hauptsächlich die populistischen Bewegungen , die in Europa und Nordamerika derzeit Auftrieb haben, und unter deren Mitgliedern Verschwörungstheorien stark verbreitet sind. So erklärt sich auch, weshalb es insbesondere weisse Männer über vierzig sind, die speziell dazu neigen, an Verschwörungstheorien zu glauben und die populistischen Bewegungen weitgehend tragen. Diese Bevölkerungsgruppe hat wirtschaftlich, kulturell und sozial am meisten zu verlieren – oder sie glaubt das jedenfalls in vielen Fällen.
☛ Gegenwart negativ malen, Zukunft positiv – wenn sie gewinnen
Eine weitere Parallele zwischen Verschwörungstheorien und Populismus besteht darin, dass beide zwar die Gegenwart negativ, die Zukunft aber oft durchaus rosig sehen, vorausgesetzt, dass die Verschwörung zerschlagen oder die Eliten entmachtet werden. Diese optimistische Dimension gründet in folgender Vorstellung: Wenn alles Übel nicht das Ergebnis komplexer geopolitischer Entwicklungen oder eines tief in der eigenen Gesellschaft verwurzelt en Wertewandels ist, sondern aus einem Komplott oder auch nur aus der Schlamperei der Eliten entspringt, dann lässt sich das Rad der Zeit auch wieder zurück drehen. Dann können die als so negativ und gefährlich empfundenen Veränderungen rückgängig gemacht werden.
☛ Instrumentalisierung von Verschwörungstheorien durch populistische Politikerinnen und Politiker
Populistische Politikerinnen und Politiker machen sich Verschwörungstheorien auf vielfältige Weise zu Nutze. Über Sündenbock-Mechanismen einen sie das eigene Lager. An die Macht gekommen können sie damit alle Misserfolge den konspirativen Machenschaften ihrer Gegner in die Schuhe schieben.
Zwei sehr prägnante Beispiele für die Instrumentalisierung von Verschwörungstheorien sind Donald Trump und Viktor Orbán. US-Präsident Trump verbreitet neben Verschwörungstheorien auch häufig Verschwörungsgerüchte. Michael Butter sagt dazu:
«Trump macht das sehr geschickt. Er bedient nämlich fast immer nur Verschwörungsgerüchte. Er sagt zum Beispiel: „Ich hab gehört, dass der Vater von Ted Cruz sich mit Lee Harvey Oswald getroffen hat, ein paar Tage, bevor der John F. Kennedy erschossen hat. Think about it!“ Belege liefert er dafür nicht. Das ermöglicht es ihm, sich rauszureden, wenn er darauf festgenagelt wird. Er kann dann sagen: Ich hab das nur gehört. Das ist raffiniert…. Einerseits signalisiert er den Verschwörungstheoretikern: Ich bin einer von Euch. Und allen anderen signalisiert er: Na ja, so wild ist es gar nicht nicht.» (Quelle des Zitats: Cicero)
Trump hat schon während seines Wahlkampfs 2016 mit einer Verschwörungstheorie der allfälligen Niederlage vorgebeugt, indem er immer wieder betonte, dass die Wahlen manipuliert seien – vom korrupten System, zu seinen Ungunsten. Jan Skudlarek schreibt in diesem Zusammenhang:
«Was die Wahrheit über den eigenen Erfolg oder Misserfolg angeht, so verfolgen Populisten häufiger als andere Politiker die Maxime: “Scheitere ich, liegt es an anderen – siege ich, liegt es allein an mir.“»
Skudlarek zitiert die Politikwissenschaftler Dirk Jörke und Veith Selk, die beim Populismus die Neigung sehen, «andauernd nach ‘den Schuldigen’ für ökonomische, soziale und politische Probleme Ausschau zu halten und die Ursachen für diese Probleme in vermeintlich niederträchtigen Personen und Personengruppen zu suchen, die hinter den Kulissen des offiziellen Betriebs die Fäden zögen.»
In Bezug auf Jörke/Selk schreibt Skudlarek:
«Die Autoren betonen in diesem Kontext, dass der Populismus diese Denkweise mit dem Faschismus teilt. Auch der Faschismus knöpft sich Sündenböcke vor, die mit dem tatsächlichen Geschehen herzlich wenig zu tun haben. Populismus und Faschismus benötigen beide Feindbilder aus Identitätsgründen. Sag mir, wen du hasst – und ich sage dir, wer du bist.»
Dazu neige auch Trump, schreibt Skudlarek, und fährt fort:
«Um eine mögliche Niederlage abzufedern, kam schon während des Wahlkampfes der unbewiesene Verweis auf manipulierte Wahlen. Während seiner Präsidentschaft riss dieses konspirative Denken nicht ab. Im Gegenteil: ‘Deep State’, die Demokraten, die alles Gute vereiteln wie eine Bande dubioser Hollywood-Bösewichter, vor allem aber die Lügenpresse (‘Fake News Media’), die die Wahrheit andauernd nur verdreht; immer wieder nutzte Trump die Möglichkeit, auf eine konkrete oder abstrakte Verschwörergruppe hinzuweisen, die angeblich im Hintergrund auf seinen Misserfolg hinarbeite.
Er erklärt sich regelmässig selbst zum Umschuldigen, indem er Schein-Schuldige benennt. Im Erfolgsfall hat er seine Vorhaben dann trotz Vereitelungsversuchen seitens irgendwelcher Verschwörer vollbracht. Bravo! Meistens werden die zuvor genannten Sündenböcke jedoch im Nachhinein nicht mehr genannt (sonderlich mächtig scheinen sie ja auch nicht gewesen zu sein) und stattdessen die eigene Stärke und Durchsetzungskraft gepriesen. Sollte es zu einem Misserfolg kommen, kann Trump ja immer noch auf das ‘meine Gegner sind schuld’-Narrativ zurückgreifen, das er zuvor etabliert hatte…..
Man kann die Relevanz und gleichzeitig die eigentlich skandalöse Funktion des Manipulationsvorwurfs kaum überbetonen: Läuft alles wie vorgesehen, ging alles mit rechten Dingen zu. Gibt es Komplikationen oder Niederlagen, ging nichts mit rechten Dingen zu.
Konspirative Theorien bieten also eine Möglichkeit der Externalisierung der Schuldfrage. ‘X ist manipuliert (von Verschwörern)’ wird so gleichzeitig zu einer allgemeinen Delegitimierungstechnik. Populisten wie Trump verkörpern ihr eigenes Schwarz-Weiss-Denken bis zur Perfektion.“
Populisten behaupten: ‚Stösst mein Vorgehen auf Protest, Untersuchung und Opposition, ist das immer das Werk von Verschwörern. Sonst wären sie ja nicht gegen mich‘.
Das ist eigentlich leicht zu durchschauen. wenn man es denn durchschauen will.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat sich quasi eine auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Verschwörungstheorie gebastelt. Im Zentrum steht der aus Ungarn stammende US-amerikanischen Philanthroph und Investor George Soros. Diese Verschwörungstheorie pflegt und bewirtschaftet Orbán konsequent und intensiv.
Björn Milbradt beschreibt, wie Rechtspopulisten Verschwörungstheorien zur Mobilisierung und Machterhaltung instrumentalisieren:
«Der Agitator muss darauf achten, dass er immer einen gewissen ‘Wissensvorsprung’ gegenüber seinen Anhängern hat, was die Tiefe und den Umfang der gegen ‘das Volk’ gerichteten Verschwörungen angeht – so ist er strukturell auf Verschwörungstheorien angewiesen. Dass Rechtspopulisten wie Victor Orbán in regelmässigen Abständen auf verschwörungstheoretische und antisemitische Mobilisierungen wie beispielsweise die gegen den Finanzinvestor George Soros zurückgreifen, liegt also bereits in ihrem Politikstil wie auch in den Dispositionen ihres Publikums begründet: nur durch diesen Stil gelingt es immer wieder, Autorität zu erneuern und emotionale Bindung zu stärken wie auch Unmündigkeit zu vertiefen.»
Quellen:
☛ Interview mit Michael Butter in Cicero.
☛ Michael Butter, „Nichts ist, wie es scheint“, Suhrkamp 2018.
☛ Jan Skudlarek, „Wahrheit und Verschwörung“, Reclam 2019,
☛ Björn Milbrandt, „Über autoritäre Haltungen in ‚postfaktischen‘ Zeiten“, Verlag Barbara Budrich 2018 (Seite 180).
Weitere Infos / Beispiele zum Thema Verschwörungstheorien & Populismus:
Studie zeigt: AfD-Wähler glauben in hohem Mass an Verschwörungstheorien
Wie hängt Populismus mit dem Glauben an Verschwörungstheorien zusammen?
Populismus und Verschwörungstheorien in Österreich:
Constanze Jeitler untersucht als Historikerin im Rahmen ihrer Dissertation die Bedeutung von Verschwörungstheorien für rechtspopulistische Parteien und Bewegungen in Österreich. Im Podcast der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erläutert sie die Parallelen zwischen diesen beiden Bewegungen, ihre sozialwissenschaftlichen Hintergründe und die Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft eines Landes: