Was kann man tun, wenn ein Freund oder ein Mitglied der Familie dabei ist, in Verschwörungstheorien zu versinken?
„Am besten ist sofort reagieren“, empfiehlt Katharina Nocun, Autorin und Expertin für Verschwörungstheorien, in einem Interview im Bayerischen Rundfunk:
„Das Schlimmste, was man tun kann, ist einfach schweigen und hoffen, dass es besser wird. Vor allem verpasst man damit einen ganz wichtigen Moment. Denn am Anfang von so einer Radikalisierung sind Menschen noch sehr offen für Faktenchecks. Aber je mehr sich jemand radikalisiert, je mehr jemand beispielsweise von einer großen Presseverschwörung überzeugt ist, desto schwieriger wird es überhaupt, ihn noch dazu zu bringen, andere Quellen zu lesen als das, wo er die jeweiligen Informationen über die angebliche Verschwörung her hat.“
Gerade zu Beginn einer solchen Entwicklung lohnt es sich also noch, die Verschwörungstheorien zu hinterfragen. Und dies sowohl in Internet-Kommentaren als auch an Feiertagen im Kreis der Familie. Katharina Nocum sagt dazu: “Selbst wenn man das Gefühl hat, ich weiß nicht, wie ich da richtig reagieren soll, zumindest einfach kurz sagen: Ich stimme dem nicht zu, ich sehe das anders.”
Schweigen hilft nicht weiter – auch nicht im Kreis der Familie
Gegenrede hält auch der Autor und Psychologe Markus Appel von der Universität Würzburg für wichtig: „In so einer Kommunikationssituation sitzen ja nicht nur die zwei Leute, sondern auch andere: Der kleine Bruder, die kleine Schwester. Eine Diskussion kann deshalb fruchtbar sein, und zwar auch für die Personen, die drumherum sitzen. Denn oft wird Schweigen gleichgesetzt mit Zustimmung.“
Außerdem rät Appel, die Thesen von Mitgliedern der Familie und von Freunden nicht lächerlich zu machen.
Er empfiehlt stattdessen, man solle die Person freundlich behandeln und individuell auf sie eingehen. Durch einen persönlichen Bezug – zum Beispiel durch den Beruf oder den Bekanntenkreis – kämen Menschen leichter ins Nachdenken.
Zahlreiche Verschwörungstheorien funktionieren nur dadurch, dass sie Millionen Menschen pauschal zu Mitverschwörern erklären – zum Beispiel Regierungsbeamte, Ärztinnen, Journalisten. Wenn jedoch beispielsweise der Schwager des Betroffenen Arzt ist und die Nichte Journalistin, dann könnte sich die Frage lohnen, ob die beiden auch Teil einer großen Corona-Verschwörung sind.
Sitzt der Glaube zu tief, kommt man mit Argumenten nicht weiter
Mit Argumenten kommt man jedoch irgendwann nicht mehr weiter, wenn Verschwörungsgläubige tief in ihren Konstrukten stecken. Faktenchecks oder überhaupt irgendwelche Fakten lassen sie dann überhaupt nicht mehr an sich heran.”
Stehen diese Personen einem sehr nahe, zum Beispiel in der Familie, ist es jedoch trotzdem den Versuch wert. Man solle dann auch nicht locker lassen, sagt der Psychologe Appel: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“
Insbesondere Menschen mit wenig sozialen Kontakten verlieren sich leicht im Verschwörungsglauben. Und Bildung mache nicht dagegen immun, sagt Dimitri, ein Ex-Verschwörungsgläubiger, dem Bayerischen Rundfunk. Er vermutet einen psychologischen Effekt auf das Gehirn, der motiviert, immer mehr von diesen Verschwörungstheorien zu lesen, sich immer tiefer damit zu beschäftigen. Es sei wie eine Sucht.
Jemanden aus dieser Sucht zu befreien sei anstrengend. Am effektivsten sei es, die Leute zur Selbstreflexion zu bringen: “Man kann so tun, als würde man nach den Theorien fragen, aber eigentlich fragt man nach den Gefühlen dahinter. Warum glaubst du das? Wie geht es dir damit? Macht es dich glücklich?”
Das hält auch der Psychologe Markus Appel für eine gute Idee. Im engeren Kreis der Familie kann er sich das gut vorstellen und empfiehlt, auch darüber zu reden, wie es einem selbst damit geht. So lasse sich der Fokus auf die persönliche Beziehung legen.
Quelle:
„Es ist wie eine Sucht“: Wie umgehen mit Verschwörungsgläubigen? (Bayerischer Rundfunk)
Anmerkungen:
☛ Empfehlenswert in der Konfrontation mit Verschwörungstheorien ist auch der Plausibilitätscheck. Zum Beispiel die Frage, wieviele Menschen den in diese Verschwörung eingeweiht sein müssten. Und wie sicher gestellt werden könne, dass niemand die Verschwörung verrate. Schon Machiavelli (1469 – 1527) hat darauf hingewiesen, dass umfangreiche Verschwörungen keine Chance haben, über längere Zeit geheim zu bleiben. Siehe dazu:
Machiavelli über Verschwörungen und ihre Grenzen
☛ Zum Umgang mit Verschwörungstheorien in der Familie siehe auch:
Wenn Verwandte an Corona-Verschwörungstheorien glauben – Tipps von Experten