Was bieten Verschwörungstheorien ihren «Nutzern»? Weshalb haben sie in der Coronakrise Hochkonjunktur? Und wie kann man mit Verschwörungstheoretikern innerhalb der Familie umgehen? Der Psychologe Prof. Andreas Kastenmüller von der Universität Siegen liefert Antworten.
Der 15. Mai 2020 hätte der Tag X sein sollen, an dem sich alles ändert. Zumindest wenn es nach den Fantasien Attila Hildmanns gegangen wäre. Der Koch und Autor veganer Kochbücher hatte das Ende der Demokratie für diesen Tag angekündigt. Der Start einer neuen Weltordnung. Und damit verknüpft ein Feindbild: Microsoft-Gründer Bill Gates, der mit seiner Stiftung eine Gesundheitsdiktatur installieren wolle. Geschehen ist davon am 15. Mai nichts. Und es scheint auch nicht so, dass Attila Hildmann durch diese Fehlprognose zur Vernunft gekommen ist. Mit seinen kruden Thesen erreicht er über die sozialen Medien hunderttausende Menschen. Und er ist nicht der einzige Promi, der solche Botschaften teilt.
Die Coronakrise eignet sich gleich in mehrfacher Hinsicht als Nährboden für Verschwörungstheorien. „Menschen haben ein Bedürfnis, Dinge zu erklären und vorherzusagen. Das gibt ihnen zumindest die Illusion von Kontrolle“, sagt Andreas Kastenmüller. Verschwörungstheorien können darauf hinwirken, diese vermeintliche Kontrolle zurückzuerhalten und dadurch ein positives Gefühl geben. Dass ein Virus durch eine Verkettung von Zufällen auf den Menschen überspringt und derart drastische Auswirkungen hat, dass WissenschaftlerInnen ihre Meinung und PolitikerInnen ihren Kurs ändern, können VerschwörungstheoretikerInnen nicht akzeptiern. „Sie erkennen Muster und schustern daraus Theorien zusammen. Je weniger Informationen ich habe – und im Falle des Coronavirus sind es sehr wenige – desto leichter ist es, eine eigene, zusammenhängende Geschichte zu entwickeln“, erklärt Prof. Kastenmüller. Für Verschwörungstheorien seien vor allem Menschen anfällig, die mehr intuitiv denken würden – und weniger analytisch. „Verschwörungstheorien sind beliebt, weil sie einfach zu verarbeiten sind“, gibt Kastenmüller zu bedenken.
Was tun, wenn Freunde und Familie mit Verschwörungstheorien daherkommen?
Im Zuge der Coronakrise tauchen Verschwörungstheorien verstärkt auch in der Verwandtschaft oder im engeren Bekanntenkreis auf.
Das sei keine leichte Situation, sagt Prof. Andreas Kastenmüller: „Anhänger und Anhängerinnen von Verschwörungstheorien sind schwer von anderen Meinungen zu überzeugen. Sie suchen selektiv nach Informationen, die zu ihrer Meinung passen.“
Einfach ignorieren sei allerdings auch nicht die beste Variante. „Wenn ich nichts sage, wird das als stillschweigendes Einverständnis angesehen. Man sollte auf jeden Fall sagen, dass man anderer Meinung ist“, erklärt der Psychologe. Dafür sei jedoch Zivilcourage nötig und im Idealfall gute Argumente.
Doch auch wenn einem die Argumente gerade fehlen, solle zumindest die eigene Haltung deutlich gemacht werden: „Auch wenn ich meinen Onkel nicht überzeugen kann: Vielleicht liest im Chat ja jemand mit oder hört am Tisch jemand zu, der seine Ansichten überdenkt.“
Quelle:
Wer glaubt denn sowas? Verschwörungstheorien in Coronazeiten (Universität Siegen)
Bezüglich dem Umgang mit Verwandten und Bekannten, die mit Verschwörungstheorien hausieren, gibt es in diesem Beitrag weitere Tipps:
Wenn Verwandte an Corona-Verschwörungstheorien glauben – Tipps von Experten