Die Leipziger Zeitung (LZ) hat ein Interview publiziert mit Marius Dilling zum Thema «Verschwörungstheorien in Krisenzeiten». Der Sozialwissenschaftler Marius Dilling forscht am Else-Frenkel-Brunswik-Institut in Leipzig zu den Themen Demokratie und Rechtsextremismus. Im Interview wird er gefragt, wann Verschwörungstheorien demokratiefeindlich und gefährlich werden.
Wer glaube, die Erde sei eine Scheibe, sei nicht automatisch Antidemokrat, antwortet Dilling:
«Doch Menschen, die an die eine Verschwörungstheorie glauben, sind auch eher bereit, an andere zu glauben – sogar, wenn die sich logisch ausschließen. Wer mal in einschlägigen Gruppen oder Blogs und Seiten unterwegs war weiß, wie schnell man mit Antisemitismus konfrontiert werden kann.»
Der Sozialwissenschaftler berichtet dann von der Forschung am Else-Frenkel-Brunswik-Institut:
«Unsere empirische Forschung zeigt, dass die Verschwörungsmentalität eng mit Antisemitismus und anderen rechtsextremen Einstellungen zusammenhängt. Strukturell sind sich antisemitische und verschwörungsideologische Narrative sehr ähnlich. Da brachial-antisemitische Äußerungen sanktioniert sind, erfolgt eine Umweg-Kommunikation des Ressentiments: Es wird vom „Ostküstenkapital“ und „den Eliten“ gesprochen, wenn eigentlich „die Juden“ gemeint sind.
Wir konnten zeigen, dass auch die Zustimmung zu COVID-19 bezogenen Verschwörungsnarrativen stark mit Facetten des Antisemitismus zusammenhängt. Der Zusammenhang von (Schuldabwehr-)Antisemitismus und COVID-19-bezogenen Verschwörungsnarrativen erklärt auch die Häufigkeit von Vergleichen mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung und der damit einhergehenden Verharmlosung des Holocaust.»
Gefährlich werde es auch, wenn das Ausmaß der imaginierten Verschwörung dem Individuum keine andere Wahl lässt, als sich zu wehren, erklärt der Experte.
Das könne sich vermeintlich harmlos als Vandalismus gegen 5G-Sendemasten äußern oder in Form von rechtsextremem Terrorismus.
Verschwörungstheorien zersetzten Vertrauen
Verschwörungsideologien unterminieren darüber hinaus aber nicht nur das Vertrauen in unsere Institutionen, sondern auch in Mitbürger, Journalisten, Wissenschaftler und Politiker, und nicht zuletzt in Freunde und Familie.
Marius Dilling weist auch darauf hin, dass die langfristigen Auswirkungen von Verschwörungstheorien diskutiert werden müssen, die damit einhergehen können. So etwa die Folgen, die die Leugnung des menschengemachten Klimawandels mit sich bringen kann – oder eine durch Verschwörungsideologien und Falschmeldungen geförderte Impfgegnerschaft, welche die Pandemie-Bekämpfung erschweren kann.
Quelle:
Verschwörungstheorien in Krisenzeiten: „Einen Grund zur Gelassenheit sehe ich nicht“
(Leipziger Zeitung)
Siehe ausserdem:
Verschwörungstheorien als Katalysatoren von Gewalt
Verschwörungstheorien unterminieren den Rechtsstaat
Warum sind Verschwörungstheorien eine Gefahr für demokratische Gesellschaften?
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen