Deutschlandfunk Kultur veröffentlichte ein Gespräch von Svenja Flaßpöhler mit dem Amerikanisten Michael Butter und dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen zum Thema Verschwörungstheorien. Daraus hier ein paar Kerngedanken:
☛ Verschwörungstheoretiker hängen an ihren Theorien, weil sie daraus ihre Identität ziehen. Darum verteidigen sie diese mit aller Härte.
☛ Verschwörungstheorien sind darüber hinaus selbstimmunisierend. Sie lassen sich schwer oder gar nicht widerlegen. Denn alle Gegenbeweise werden sogleich in die Theorie integriert (hier zum Stichwort Beweise).
☛ Verschwörungstheoretiker wähnen sich zudem als Sehende: Sie halten sich für die Einzigen, die den Verblendungszusammenhang durchschauen. Dadurch versichern sie sich ihrer Besonderheit.
☛ Laut Bernhard Pörksen schweißt die Verschwörungstheorie zwei sehr unterschiedliche Philosophien zusammen: Einerseits gibt es den knallharten Realismus, einen regelrechten Wahrheitsdogmatismus. Der Verschwörungstheoretiker ist sich absolut gewiss, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie tatsächlich ist. Andererseits ist der Verschwörungstheoretiker jedoch auch ein radikaler Skeptiker. An der Wahrheit, die ihm andere vermitteln wollen, zweifelt er von Grund auf.
☛ Es gibt Verschwörungen, die durchaus wahr sind und existieren. Der Verschwörungstheoretiker weitet die Verschwörung aber zu einer totalen Verschwörung aus.
☛ Verschwörungsgläubige machen aus widersprüchlichen Vorkommnissen ein einziges, großes Narrativ, eine zusammenhängende Geschichte.
☛ Michael Butter sagt, wenn Chaos oder Konspiration zur Wahl stünden, so würde er selbst das Chaos wählen. Es gebe zwar viele kleine Verschwörungen, doch nicht die eine, alleserklärende Verschwörung.
☛ Bernhard Pörksen antwortet auf die Frage, weshalb er selbst nicht anfällig für Verschwörungstheorien sei: „Mein Systemvertrauen ist letztlich größer.“
☛ Butter erklärt, dass es im 18. und 19. Jahrhundert ganz normal gewesen sei, an Verschwörungstheorien zu glauben. Die US-Präsidenten seien die größten Verschwörungstheoretiker gewesen, allen voran Abraham Lincoln. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien Verschwörungstheorien delegitimiert worden.
Verschwörungstheorien als Symptome
☛ Pörksen und Butter betrachten die Verschwörungstheorie als Symptom für die Komplexität der Moderne und für den Verlust eines großen göttlichen Heilsplanes. Die Verschwörungstheorie ist eine Art säkularisierter Schöpfungsplan, zugleich jedoch auch ein Symptom der fragmentierten Gesellschaft, die sich in Filterblasen und Echokammern aufsplittet, in denen unterschiedliche Wahrheitsbegriffe kursieren.
☛ Pörksen erklärt, ein Experiment habe gezeigt, dass Menschen zwanghaft nach Mustern suchen, sobald man sie tief verunsichert. Verunsicherung erzeuge Mustersuche. Und die Extremform der Mustersuche sei die Verschwörungstheorie. Die Verunsicherung sei heute umso größer, weil uns Erschütterungen – zum Beispiel durch Terror – im Nu medial erreichen. Dieser Wucht könne nicht mehr ausgewichen werden.
Quelle:
Phil.Cologne-Debatte über Verschwörungstheorien:
„Ich sehe was, was du nicht siehst!“
Michael Butter & Bernhard Pörksen im Gespräch mit Svenja Flaßpöhler
(Deutschlandfunk Kultur)
Ausserdem:
☛ Michael Butter hat ein lesenswertes Buch zum Thema Verschwörungstheorien geschrieben:
»Nichts ist, wie es scheint«, über Verschwörungstheorien
☛ Bernhard Pörksen hat ein ebenfalls lesenswertes Buch geschrieben über Erregungsmuster im digitalen Zeitalter und über das grosse Geschäft mit der Desinformation: