Verschwörungstheorien lassen sich aus unterschiedlichen Perspektiven analysieren und kritisieren. So beispielsweise aus Soziologie, Psychologie oder Politologie. Es gibt aber auch immer wieder interessante Stellungnahmen zu Verschwörungstheorien aus christlicher Sicht. Unter anderen hat zu diesem Thema die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) einen lesenswerten Text veröffentlicht.
Was sagt die VELKD zu Verschwörungstheorien aus christlicher Sicht?
Das Dokument der VELKD beschreibt zuerst das Phänomen der Verschwörungstheorien generell mit seinen Eigenschaften und Erkennungsmerkmalen. Aus den Abschnitten, die sich speziell mit Verschwörungstheorien aus christlicher Sicht befassen folgen hier ein paar Kernpunkte:
☛ Zur Ausprägung von Verschwörungstheorie in christlichen Kreisen
Die VELKD schreibt: «Man könnte vermuten, dass Verschwörungsdenken in religiösen und insbesondere christlichen Kreisen weniger stark ausgeprägt wäre und mit steigender Religiosität abnehmen müsste, weil das Vertrauen in Gott genau diese Unsicherheiten und Ängste aufnehmen kann, die ansonsten Verschwörungsmentalitäten befördern.» Faktisch sei das jedoch nicht immer der Fall. Grundsätzlich sei die Neigung zum Verschwörungsdenken in den Kreisen stärker ausgeprägt, die eine kritische Distanz zum wissenschaftlichen Denken auch sonst verinnerlicht haben. Das betreffe im christlichen Bereich bestimmte fundamentalistische Strömungen, sowohl im evangelischen wie im katholischen Kontext, wo auch sonst eine Neigung zum Schwarz-Weiß-Denken besteht. Noch stärker sei dieser Zusammenhang im Bereich der Esoterik zu beobachten. Wo dagegen christlicher Glaube und vernünftiges Denken nicht als Widerspruch angesehen werde, sei die Verschwörungsneigung weniger ausgeprägt.
☛ Beurteilung von Verschwörungstheorien aus christlicher Sicht
Eine christliche Auseinandersetzung und Kritik von Verschwörungsmythen muss in erster Linie die damit verbundenen Probleme im Gebiet der Ethik in den Blick nehmen und deren Folgen für das Zusammenleben in der Gesellschaft thematisieren, schreibt die VELKD. Hier dazu die wichtigsten Punkte zu Verschwörungstheorien aus christlicher Sicht:
– Verschwörungsmythen verursachen zwangsläufig Opfer. Menschen, denen unterstellt wird, für die Verschwörung verantwortlich zu sein, verlieren ihre Menschlichkeit. Sie werden als furchtbar gerissen, machtgierig und mitleidlos dargestellt und sollen letztlich schuld sein an allem Übel der Welt. Weil sie darüber hinaus so eminent mächtig seien, scheint gegen sie auch jedes Mittel recht. Dabei bleibt jedoch vollkommen willkürlich, wen die Zuschreibung treffen kann, zu den angeblichen Verursachern der Verschwörung zu zählen. Deutlich wird dies insbesondere am Holocaust, dessen Basis der antisemitische Verschwörungsmythos bildete. Wer zum Beispiel behauptet, die Mitglieder der Bundesregierung seien Reptiloiden in Menschengestalt, spricht ihnen die Menschlichkeit ab. Im Gegensatz dazu gilt aus christlicher Sicht, dass jeder Mensch mit Sünde und Fehlern behaftet ist, diese jedoch niemals die Menschenwürde aufheben.
– Durch Verschwörungsdenken wird Vertrauen zerstört. Es ist jedoch eine grundlegende Bedingung für menschliches Miteinander und das Funktionieren einer Gesellschaft, dass vertrauensvolle Sozialbeziehungen bestehen. Die einseitige Vorleistung des Vertrauens ist eine Unterstellung zum Guten, ohne dass es zwingende Beweise gäbe. Verschwörungsdenken dagegen ist das Gegenteil: Es liefert scheinbare Beweise für eine Unterstellung zum Bösen und zerstört damit Beziehungen.
– Verschwörungstheorien verbreiten häufig falsche Behauptungen und Lügen. Der christliche Glaube ermahnt dagegen zu Wahrhaftigkeit. Theologisch betrachtet verstoßen Verschwörungstheorien gegen das 8. Gebot: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“ (2. Buch Mose, Kapitel 20, Vers 16). Was damit gemeint ist, hat Martin Luther im Kleinen Katechismus erläutert: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.“ Verschwörungstheorien dagegen arbeiten oft mit Diffamierungen und Unterstellungen.
– Verschwörungsglaube kann Radikalisierungsprozesse beschleunigen und geht oft mit der Konstruktion von Feindbildern und der Legitimierung von Gewalt einher. Jesus dagegen ruft dazu auf, Konflikte friedlich zu lösen und Feindbilder aufzulösen (Mt 5,44), schreibt die VELKD.
– Demokratische Prozesse sind angelegt auf einen Kompromiss und daher häufig mühevoll und langwierig. Sie bergen jedoch gerade darin die Möglichkeit, die Interessen einer größtmöglichen Zahl von Menschen (wenigstens zum Teil) mit zu berücksichtigen. Verschwörungserzählungen dagegen fördern die Polarisierung und torpedieren dieses Bemühen. Dadurch bereiten sie absolutistischen Herrschaftsformen den Weg, die schlussendlich nur wenigen nützen.
☛ Ist Religion auch nur eine andere Verschwörungstheorie?
Manchmal wird aus einer atheistischen Position heraus die Kritik geäußert, Religionen (wie das Christentum) seien doch auch nur große Verschwörungstheorien: Sie postulieren den geheimen unerkannten Drahtzieher, der nach seinem eigenen Plan das Weltgeschehen steuere. Demgegenüber weist die VELKD auf zwei wesentliche Unterschiede hin:
- Dass Gott letztlich die Fäden der Welt in der Hand hält, dieses religiöse Vertrauen richtet sich auf Gott als transzendente (übersinnliche, übernatürliche) Instanz. Verschwörungserzählungen dagegen gegen bleiben immanent (innerweltlich) und projizieren dieses «Fäden-in der-Hand-halten» auf Menschen (die Verschwörer), die jedoch aufgrund der unterstellten Machtfülle und Bosheit zu Unmenschen deklariert werden.
- Ein Kern christlichen Verkündigung liegt im Glauben, dass Gott es gut mit den Menschen meint und ihr Heil und Wohlergehen im Sinn hat. Auch das unterscheidet den christlichen Glauben fundamental von der Angst vor bösen menschlichen Verschwörern, wie sie von Verschwörungsgläubigen verbreitet wird.
Quelle:
Texte aus der VELKD
Nr. 191 – Juli 2021 – Verschwörungsmythen und Verschwörungsglaube: Information, Orientierung, Hinweise für Seelsorge und Beratung.
Ergänzungen zu Verschwörungstheorien aus christlicher Sicht:
☛ Das Dokument der VELKD weist darauf hin, dass der christliche Glaube sich gegen Feindbilder und gegen Polarisierung ausspricht und dass Gott es mit den Menschen gut meint. Das mag stimmen, doch sind Feindbilder und Polarisierung christlichen Bewegungen nicht fremd. Das zeigt sich nicht nur in der Gegenwart bei fundamentalistischen Gruppen. Im Frühchristentum vertrat die Gnosis einen ausgeprägten Dualismus von Gut und Böse. Die Gnosis ging auch von zwei göttlichen Instanzen aus, dem bösen Schöpfergott und dem guten Erlösergott. Viele gnostische Elemente finden sich bis heute in Verschwörungstheorien. Siehe dazu:
Gnosis und Verschwörungstheorien.
☛ Siehe auch:
Der Evangelikalismus neigt zu Verschwörungstheorien – aber nicht immer und überall….
Evangelikale gegen Verschwörungstheorien und christlichen Nationalismus
Verschwörungstheorien sind in konservativen US-Kirchen verbreitet
Bistum Trier: Weltanschauungsbeauftragter kritisiert «Verschwörungstheorien aus den eigenen Reihen»
Evangelikale: Pietisten in Württemberg distanzieren sich von Verschwörungstheorien und „Querdenkern“
Religiöse Elemente in Verschwörungstheorien – woran sind sie erkennbar?