Verschwörungstheorien treten meist mit dem Anspruch auf, sehr weitreichende Erklärungen für bestimmte Ereignisse zu liefern. Das macht sie für nicht wenige Menschen so reizvoll und begründet ihre Anziehungskraft. Mit den Annahmen der Verschwörungstheorie lassen sich ganz unterschiedliche Ereignisse auf einen Schlag scheinbar in einen Zusammenhang bringen und dadurch endlich richtig verstehen und erklären. Zugleich entsprechen Verschwörungstheorien aber nicht der Mehrheitsmeinung, sondern bilden eine Minderheitsmeinung. Ihre Annahmen sind für die meisten Menschen unglaubwürdig.
Das stellt für Verschwörungsgläubige ein ernsthaftes Problem dar. Die Idee, dass die Mehrheit ja Recht haben könnte, ist für sie keinesfalls akzeptabel.
Hier greifen Verschwörungsgläubige nun zu einer ganz speziellen Begründung, um das Phänomen zu erklären, dass viele Menschen die Verschwörungstheorie nicht glaubwürdig finden. Sie stellen ihre Behauptungen als unterdrückte Minderheitsmeinung dar.
Malte W. Ecker beschreibt dieses Vorgehen in seinem Buch «Kritisch argumentieren» (Alibri Verlag 2006) so:
«Die Tatsache, dass nur eine ganz kleine Anzahl von Menschen die Annahmen der Verschwörungstheorie akzeptiert, wird dadurch erklärt, dass die Mehrzahl der Menschen von irgendeiner mächtigen Institution getäuscht wird oder sich Illusionen hingibt. Diese Erklärung ist bestimmt reizvoll. Wie wir jedoch wissen, ist eine Erklärung noch keine Begründung. Die Erklärung reicht nicht aus um zu begründen, dass sich die Mehrzahl mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den Annahmen der Verschwörungstheorie täuscht. Die Verschwörungstheorie geht oft sogar noch weiter. Die gleiche mächtige Institution, die die Wahrheit geheim hält, tabuisiert auch die Verschwörungstheorien, und zwar aus dem gleichen Grund: damit die Bevölkerung nicht die Wahrheit erfährt. Ihrem eigenen Verständnis nach müssen Verschwörungstheorien deshalb beständig gegen unberechtigte Tabus kämpfen.»
Dieses Selbstbild erinnert an den biblischen Kampf zwischen David und dem übermächtigen Goliath.
David-gegen-Goliath-Kampf für die unterdrückte Minderheitsmeinung?
☛ Verschwörungsgläubige präsentieren sich in diesem Kontext oft als Opfer. Opfermentalität & Selbst-Viktimisierung sind oft anzutreffende Elemente in Verschwörungstheorien.
☛ Aus dieser Opferhaltung heraus kommt es verbreitet zu einer Delegitimierung von Personen und Institutionen, die der verschwörungstheoretischen Minderheitsmeinung kritisch gegenüber stehen.
Dazu gehören die Medien, die mit Kampfbegriffen wie «Lügenpresse», «Systemmedien» oder «Mainstreammedien» diffamiert werden.
Dazu gehören Expertinnen und Experten, die beispielsweise pauschal als korrupt dargestellt werden.
Dazu gehören Wissenschaft und Medizin. Siehe dazu:
Wissenschaftsverweigerung / Wissenschaftsleugnung
Pharma-Verschwörung / Big Pharma Verschwörungstheorie
☛ Die verschwörungstheoretische Minderheitsmeinung stabilisiert sich auch dadurch, dass Verschwörungsgläubige sich als die Aufgewachten stilisieren, und alle anderen als Schlafschafe. Auch das „Galilei-Argument“ dient diesem Zweck.
Der selbstviktimisierenden Darstellung von Verschwörungstheorien als unterdrückte Minderheitsmeinung sollte niemand auf den Leim gehen.