Verschwörungstheorien fördern die Radikalisierung hin zu Dschihadismus und Rechtsextremismus. Mit diesem Thema befasst sich ein Artikel im Hochschulmagazin «Impact» der Zürich Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur.
Am Gespräch beteiligt sind die ZHAW-Dozierenden Mirjam Eser Davolio (Soziale Arbeit) und Khaldoun Dia-Eddine (School of Management and Law). Sie sind Vermittler zwischen den Kulturen.
Mirjam Eser Davolio beschreibt, wie Verschwörungstheorien zu Radikalismus und Extremismus führen und letztlich Gewalt legitimieren können:
«Verschwörungstheorien sind Trigger für Radikalisierung und Extremismus. Marginalisierte Menschen fühlen sich von einem politischen oder gesellschaftlichen System nicht repräsentiert und gehen davon aus, dass dieses System von bestimmten bedrohlichen Mächten gesteuert wird. Sie entwickeln Feindbilder. Daraus kann sich eine Opfermentalität entwickeln, welche die eigene Gewaltakzeptanz unterstützt: Gewalt wird legitim, weil man sich gegen das System wehren muss.«
Hier lässt sich noch ergänzen, dass nicht jede Verschwörungstheorie gleich viel Gewaltpotenzial mit sich führt. Flacherdler und Mondlandungsleugner dürften in dieser Hinsicht in der Regel unproblematischer sein als «Reichsbürger». Aber auch innerhalb der jeweiligen Verschwörungstheorie ist die Gewaltakzeptanz bei den einzelnen Individuen unterschiedlich stark ausgeprägt. Das dürfte durch Persönlichkeitsmerkmale und durch Kontextfaktoren bedingt sein.
Auch unpolitische Verschwörungstheorien können Radikalisierung anstossen
Khaldoun Dia-Eddine weist allerdings darauf hin, dass der Einstieg in Verschwörungstheorien auch über unpolitischere «Geschichten» geschehen kann;
«Der Einstieg in Verschwörungstheorien erfolgt nicht immer gleich auf der politischen Ebene. Das ist ein langer Prozess. Das kann mit Geschichten beginnen wie dem Coronavirus heute. Hier kursieren so viele gefälschte Nachrichten und extreme Meinungen – manche unter dem Deckmantel der Wissenschaft. Viele Jugendliche fühlen sich davon angezogen. Via Soziale Medien gelangen sie in Kontakt mit immer mehr und anderen Verschwörungstheorien, bis es allmählich zu einer Radikalisierung kommen kann. Erst recht, wenn der Einfluss von Freunden oder anderen Influencern entsprechend ist.»
Es spricht tatsächlich viel dafür, dass auch alltäglichere und vermeintlich harmlosere Verschwörungstheorien oder sogar nur Verschwörungsgerüchte sich mit der Zeit zu einer Verschwörungsmentalität verdichten können und dann einen Boden bilden für Radikalisierung.
Mirjam Eser Davolio spricht im Gespräch noch die spezielle Lebenssituation von Jugendlichen an, die sie anfällig machen kann für Verschwörungsglauben aller Art :
«Für solche Verschwörungstheorien sind Jugendliche besonders offen, da sie auf der Suche nach eigenen Lebensentwürfen sind. Alle Verschwörungstheorien bauen ja darauf auf, dass dunkle Mächte im Hintergrund wirken. Es gibt kaum zu durchschauende Verstrickungen. Für junge Menschen ist es da schwer zu beurteilen, was richtig oder falsch ist.»
Quelle:
Verschwörungstheorien sind Trigger für Radikalisierung (ZHAW-Impact)
Eser Davolio, Miryam (2019). Verschwörungstheorien als Trigger jihadistischer Radikalisierung. In: Metzenthin, Christian (Hg.). Phänomen Verschwörungstheorien. Psychologische, soziologische und theologische Perspektiven. Zürich: Theologischer Verlag Zürich, S.19-38.
Dieses Thema zeigt sehr gut, dass Verschwörungstheorien nicht einfach harmlose Spinnereien sind. Sie können harte Folgen haben und im schlimmsten Fall Leben kosten. Das müsste aber eigentlich spätestens schon seit dem 20. Jahrhundert klar sein. Schliesslich gehörten Verschwörungstheorien zum ideologischen Kern sowohl des Nationalsozialismus als auch des Stalinismus. Die mit den Verschwörungstheorien verbundene Radikalisierung trug bei zu vielen Millionen Toten.
Radikalisierung und mögliche Gewaltausbrüche sind aber nicht die einzigen möglichen Folgen. Verschwörungstheorien können auch über die Ausbildung einer Verschwörungsmentalität zu einer Entfremdung und Distanzierung von demokratischen Institutionen und Prozessen führen.
Sie dazu:
Warum sind Verschwörungstheorien eine Gefahr für demokratische Gesellschaften?
Alltäglichere Verschwörungstheorien, die eine Verschwörungsmentalität fördern, sind auch im Terrain der Alternativmedizin anzutreffen (Pharmaverschwörung, Impfverschwörung). Von Alternativmedizin und Esoterik gibt es punktuell fliessende Übergänge zu antisemitischen und rechtsextremen Ideologien. Ein Beispiel ist die Germanische Neue Medizin des deutschen Arztes Ryke Geerd Hamer (1935 – 2017). Über solche fliessenden Übergänge öffnen sich Gelegenheiten für Radikalisierung.
Siehe auch:
Verschwörungstheorien und Alternativmedizin – wie hängt das zusammen?