Zur Diskussion steht immer wieder einmal die Frage, ob Verschwörungstheorien eine Art von Ersatz-Religion sind. Für die Beantwortung dieser Frage dürfte es sehr darauf ankommen, um welche Art von Verschwörungstheorie es geht. So wird werden wohl die Verschwörungstheorien von der Mondlandungslüge und die Flache-Erde-Theorie kaum religiöse Bedürfnisse erfüllen. Zur Ersatz-Religion wird eine Verschwörungstheorie umso stärker, je mehr sie religiöse Bedürfnisse erfüllen kann.
So haben Verschwörungstheorien oft den Vorteil, dass sie die Welt in ihrer Komplexität vermeintlich einfacher und verständlicher machen.
Durch einfache Erklärungsmodelle lassen sich unklare Situationen auflösen und auf bekannte Phänomene zurückführen.
Ist eine bestimmte Situation bedrohlich, kann sie dank einer Verschwörungstheorie zumindest durchschaubar erscheinen. Eine ähnliche Funktion haben in der Menschheitsgeschichte oft auch Religionen erfüllt.
Das ist der Grund, weshalb Verschwörungstheorien oft als „Ersatz-Religion“ bezeichnet werden. In einer immer konfessionsloser werdenden Gesellschaft können sie Menschen einen gewissen Halt geben. Die Geschehnisse des Alltags werden dann nicht mehr durch Gott, sondern durch eine Superverschwörungstheorie bestimmt. Verschwörungstheorien übernehmen hier von der Religion die Funktion der Komplexitätsreduktion. Siehe dazu auch: Komplexitätsreduktion durch Verschwörungstheorien.
Verschwörungstheorien als Ersatz-Religion können viele Funktionen erfüllen
Die Komplexitätsreduktion ist allerdings nur eine der Funktionen, die Verschwörungstheorien als Ersatz-Religion übernehmen können. Zum Beispiel bewirtschaften Verschwörungstheorien oft dualistische Vorstellungen, wie sie auch in vielen Religionen verankert sind. Dualismus spaltet die Welt in Gut gegen Böse. Damit verbunden ist oft ein Feindbild-Denken und die Suche nach Sündenböcken.
Manche Verschwörungstheorien bieten auch eine Erlöserfigur, wie sie von Religionen bekannt ist. Für die QAnon-Szene erfüllt Donald Trump die Heilsbringer-Funktion.
In einer komplex gewordenen Welt geben Verschwörungstheorien dem Bösen wieder einen klar definierten Ort. Damit kommt der Teufel als Ur-Verschwörer in modernisierter Form wieder ins Spiel. Ein Beispiel dafür ist die Kampagne der ungarischen Regierung unter Viktor Orban gegen den jüdischen Investor und Philanthropen George Soros. Orban pflasterte Ungarn zu mit Grossplakaten, von denen Soros undurchsichtig herablächelt neben dem Slogan „Lassen wir es nicht zu, dass Soros zuletzt lacht!“ – Mit einer grosszügig plakatierten Prise Verteufelung eint Orban das eigene Lager und hat einen Sündenbock zur Ablenkung von eigenen Schwächen.
Weitere Aspekte zur Funktion von Verschwörungstheorien als Ersatz-Religion sind hier zu finden:
Religiöse Elemente in Verschwörungstheorien – woran sind sie erkennbar?
Quelle:
Beitrag «Verschwörungstheorien als „Ersatz-Religionen“» (Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg)