Hindu-nationalistische Politiker in Indien schüren Ängste vor einer angeblichen neuen Gefahr: Muslimische Männer sollen junge Hindu-Frauen zum Islam verführen. Nun hat der erste Bundesstaat ein Gesetz gegen diese fiktionale Bedrohung erlassen.
Ende November trat in Indien im Bundesstaat Uttar Pradesh ein Gesetz in Kraft, das offiziell illegale Konvertierungen verhindern soll. Inoffiziell verfolgt es jedoch einen ganz anderen Zweck: Es soll Hindu-Frauen vor der Gefahr des »Liebes-Dschihads« schützen.
Hinter dem Ausdruck steckt eine Verschwörungstheorie der Hindu-Nationalisten: Danach sollen muslimische Männer angeblich scharenweise Hindu-Frauen in die Ehe locken, um sie derart zum Islam zu bekehren.
Neu ist die Legende vom blauäugigen Hindu-Mädchen und vom räuberischen Muslim nicht. Was jedoch früher nur radikale Splittergruppen ernst nahmen, ist inzwischen unter der Führung von Premier Narendra Modi und seiner hindu-nationalistischen BJP im indischen Mainstream angelangt.
Mitglieder der BJP, darunter ein Regierungschef eines Bundesstaats, ein sogenannter Chief Minister, behaupteten in der Vergangenheit, indische Muslime würden Geld aus dem Ausland bekommen, um mit teuren Geschenken Frauen zu verführen. Damit sollen sie das Ziel verfolgen, nicht muslimische Frauen massenhaft zu konvertieren, um aus Indiens hinduistischer Mehrheit eine Minderheit zu machen.
Fakt ist: In Indien existiert kein «Liebes-Dschihad»
Wie für Verschwörungstheorien üblich, liefern die Hindu-Nationalisten in Indien für ihr Behauptungen keine Beweise.
Die Vorwürfe wurden jedenfalls von offizieller Seite untersucht mehrfach untersucht. Das Resultat war immer gleich: In Indien gibt es keinen organisierten »Liebes-Dschihad«.
Heiraten über Religionsgrenzen hinweg kommt in Indien generell extrem selten vor.
Uttar Pradesh, in dem das neue Gesetz nun in Kraft trat, ist der bevölkerungsreichste indische Staat mit mehr als 200 Millionen Menschen. Laut Ankündigungen wollen vier weitere große BJP-geführte Staaten ähnliche Gesetze verabschieden.
Verlangt wird mit diesen Gesetzen, dass eine Konvertierung 60 Tage vor der Eheschließung den Behörden gemeldet wird. Die Beamten prüfen anschliessend den Fall. Sollte sich dabei zeigen, dass es bei dieser Heirat nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, drohen bis zu zehn Jahre Haft oder eine hohe Geldstrafe. Die Beweislast liegt dabei bei dem Paar.
Befürworter des Gesetzes führen an, es schütze Frauen. Es behandele alle Religionen gleich und benenne an keiner Stelle den Islam. Das stimmt zwar, doch ist auffällig, dass die Polizei bislang nur gegen muslimische Männer vorgegangen ist. Die Beamten sprengten Hochzeiten, ignorierten Frauen, die aussagten, aus freien Stücken geheiratet zu haben und führten ihre Ehemänner ab.
BJP-Politiker haben zudem nie verheimlicht, auf wen das Gesetz abzielt. Das Gesetz ist ein essenzieller Teil des BJP-Programms mit dem Ziel, Indien umzugestalten: Nach den demokratischen Institutionen soll auch das öffentliche Leben mehr und mehr der politischen Kontrolle unterworfen werden.
Die Historikerin Charu Gupta ist den Ursprüngen dieser Verschwörungstheorie vom «Liebes-Dschihad» nachgegangen. Für radikale Hindu-Gruppen sei es unmöglich nachvollziehbar, dass Frauen aus freien Stücken mit einem Mann durchbrennen oder für ihn konvertieren würden, sagt sie. Das widerspreche ihrem Bild einer Gesellschaft, in der alles ihren Regeln folgt, selbst die Liebe: «Die Darstellung von Hindu-Frauen als Opfer falscher Liebe zeigt nicht so sehr den Wunsch, sie zu beschützen, als den Wunsch, sie zu disziplinieren und zu kontrollieren.»
Quelle:
Islamfeindliche Verschwörungstheorie: Indien verbietet »Liebes-Dschihad« (Spiegel online)
Anmerkungen:
☛ Das Beispiel zeigt, dass politische Verschwörungstheorien keine Beweise brauchen, um sich zu verbreiten und Wirkung zu entfalten.
Siehe dazu:
Welche politischen Interessen stehen hinter Verschwörungstheorien?
☛ Das Beispiel zeigt, dass politische Verschwörungstheorien sich präzis entlang der jeweiligen Feindbilder entfalten. Die Realität ist dabei irrelevant, nur die Feindbilder zählen. Siehe dazu:
Feindbilder & Verschwörungstheorien