Die Etablierung und Verstärkung einer Verschwörungsmentalität ist eine aktuelle Propagandastrategie, die sich in unterschiedlichen Kontexten beobachten lässt. Propaganda hat heute nicht mehr immer das Ziel, den Menschen eine bestimmte Sichtweise einzuhämmern. Es kann auch darum gehen, die Menschen mit einer Vielzahl von widersprüchlichen Falschmeldungen und Lügen soweit zu verwirren, dass sie gar keinen Meldungen mehr Glauben, auch nicht den wahren.
Siehe dazu auch:
Triumph der Meinung über Fakten, Wahrheit und Fachwissen – das kann nicht gut gehen!
Diese Strategie lässt sich sehr gut bei der russischen Propaganda verfolgen, zum Beispiel nach dem Abschuss des malaysischen Linienflugs MH17 durch eine russische Buk-Rakete in der Ostukraine.
Ermittler der internationalen Untersuchungskommission widerlegten zum Beispiel mit einem Telefonmitschnitt eine der vielen Propagandalügen aus Moskau. Russische Raketenbauer hatten behauptet, dass die Buk-Rakete weiter westlich im Dorf Saroschtschenske abgefeuert worden sei, das sich damals unter Kontrolle der ukrainischen Armee befunden habe. Ein Separatist, der sich zum Zeitpunkt der Flugzeugkatastrophe in Saroschtschenske befand, bezeichnete diese Version in einem Telefonmitschnitt allerdins als Lüge: «Das war unser Territorium.»
Ausserdem sollte ein gefälschter Audiomitschnitt belegen, dass die USA den Absturz des Fluges MH17 zu verantworten haben. Dieser sorgt allerdings für Häme, weil die russischen Urheber den Fake an mehreren Stellen selbst entlarvten. Die russische Zeitung „Komsomolskaya Pravda“ hatte den Audio-Mitschnitt publiziert. Das berichtet die britische Tageszeitung „The Independent“, laut der es sich eindeutig um einen Fake handelt.
Focus online schreibt dazu:
«Auf dem sieben Minuten langen Audio-Mitschnitt sind angeblich mehrere Telefongespräche zweier CIA-Agenten zu hören, in denen diese den Absturz planen. Laut „Independent“ handelt es sich bei dem Mitschnitt eindeutig um einen Fake. Vermutlich sind die falschen Aufnahmen eine Propaganda-Aktion. So klinge es beispielsweise so, als läsen die Männer von einem Skript ab.»
Das sind nur zwei Beispiele einer Vielzahl von falschen Fährten und Lügen, die von russischen Propagandamedien lanciert und danach entlarvt wurden. Aber für den Erfolg solcher Störaktionen ist es gar nicht so wichtig, ob die Lügen aufgedeckt werden. Zur Verunsicherung tragen sie allemal bei.
Propaganda schürt Ängste und Unsicherheit
Die russische Propaganda im Ausland zielt Hand in Hand mit rechtspopulistischen Informationsangeboten darauf ab, Ängste zu verstärken und Gesellschaften zu destabilisieren. Ingo Mannteufel schreibt dazu in der «FAZ»:
«Ein erstes Mittel zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung ist die maximale Erhöhung von Nachrichten, so dass die Empfänger angesichts einer Vielzahl von meist ungesicherten, beängstigenden und sich durchaus widersprechenden Informationen überfordert werden: Verlust der Orientierung und Klarheit sind die Folge dieses „Informationslärms“.»
Das Online-Magazin «Republik» hat einen Artikel von McKay Coppins aus dem US-amerikanischen Magazins «The Atlantic» übersetzt und unter dem Titel «Krieg gegen die Wahrheit» veröffentlicht. Darin wird die Entwicklung hin zur Verschwörungsmentalität kompakt beschrieben:
«Hat man die Möglichkeit, von einer unsichtbaren Hand manipuliert zu werden, erst einmal internalisiert, ist nichts und niemandem mehr zu trauen. Jeder Andersdenkende auf Twitter wird zum russischen Bot, jede unbequeme Schlagzeile zur falschen Flagge, jede politische Entwicklung Teil einer immer umfassenderen Verschwörung. Und wenn das Informationsökosystem endlich unter der Last von so viel Zynismus zusammenbricht, ist man viel zu sehr damit beschäftigt, auf der Hut zu sein, um zu kapieren, dass die ‘Desinformationisten’ gewonnen haben.»
Angst vor Propaganda ist fast so schädlich wie Propaganda
Erschwerend kommt in einer solchen Lage hinzu, dass das Aufdecken der Propagandalügen oft nur begrenzt hilft:
«Während der ukrainischen Revolution 2014 stellten prodemokratische Aktivisten fest, sie könnten einem Gutteil der falschen Informationen über ihre Bewegung die Zähne ziehen, indem sie deren russische Herkunft aufzeigten. Diese Art von Transparenz habe freilich ihren Preis, merkt Stengel an. Mit der Zeit könne dieses ständige Auf-der-Hut-Sein vor der Propaganda zur Paranoia werden. Es sei bekannt, dass russische Akteure solche Ängste durch die gezielte Streuung von Gerüchten über ihre eigene Effizienz ganz bewusst schürten. Unter dem Strich richte so die blosse Angst vor versteckter Propaganda denselben Schaden an wie die Propaganda selbst.»
McKay Coppins fügt zu diesem Thema einen interessante Abschnitt über Hannah Arendt, die dazu viel Wichtiges zu sagen hat:
«Die Politologin Hannah Arendt schrieb einmal, die erfolgreichsten totalitären Führer des 20. Jahrhunderts hätten bei ihren Anhängern für eine Mischung aus ‘Leichtgläubigkeit und Zynismus’ gesorgt. Wurden sie belogen, entschieden sie sich dafür, die Lüge zu glauben. Sahen sie eine Lüge entlarvt, behaupteten sie, diese von vornherein durchschaut zu haben, und bewunderten ihre Führer, ‘die so souverän andere Leute an der Nase herumzuführen verstünden’ – mit anderen Worten: für ihr geschicktes Taktieren. Mit der Zeit, so schrieb Arendt, konditionierte die ständige Propaganda die Leute, ‘jederzeit jegliches und gar nichts zu glauben in der Überzeugung, dass schlechterdings alles möglich sei und nichts wahr’».
Hannah Arendt zum Zweck der Propaganda
Propaganda dient nach Hannah Arendt dem Zweck, „den Gedanken frei machen von der Erfahrung und der Wirklichkeit“.
In: Hannah Arendt, The Origins of Totalitarianism. New York 1951, dt. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt a. M., 1955; 10. Auflage. Piper, München 2003, Seite 471).
Die Befreiung des Gedankens von der Wirklichkeit sieht Arendt als essenziellen Bestandteil totalitärer Bewegungen:
„Der ideale Untertan für eine totalitäre Führung ist nicht der überzeugte Nazi oder der überzeugte Kommunist, sondern es sind Leute, für die Distinktion zwischen Fakten und Fiktion (mit anderen Worten die Realität der Erfahrung) und die Distinktion zwischen wahr und falsch (mit anderen Worten die Standards des Denkens) nicht länger existieren.“ (Seite 477)
George Orwell schreibt in seinem Werk «1984», in dem der Totalitarismus gesiegt hat:
„Hier haben die Fakten jede Autorität verloren, und es gibt nur eine Autorität zur Definition von Wirklichkeit: Die Partei.“
Das ist der Endpunkt, auf den die Verschwörungsmentalität hinlaufen kann.
Und noch einmal Orwell „1984“:
„Die Partei trug dir auf, das Zeugnis deiner Augen und Ohren abzuweisen. Das war ihre letzte und wichtigste Anwesung.“
Hendricks & Vestergaard kommentieren dieses Zitat mit einer ernsten Warnung:
„Dieser Anweisung darf nicht gefolgt werden. Egal von wem sie kommt. Sonst verlieren wir. Sonst verliert die Demokratie. Sonst verliert die Wirklichkeit.“
In: Postfaktisch – Die neue Wirklichkeit in Zeiten von Bullshit, Fake News und Verschwörungstheorien
Quellen:
Krieg gegen die Wahrheit, Online-Magazin Republik
Billige Propaganda – Russen wollen mit Fake-Audiomitschnitt beweisen: USA haben MH17 abgeschossen, Focus Magazin
Abschuss über der Ukraine: MH17 wohl von prorussischem Gebiet abgeschossen, von Christian Weisflog (NZZ)
Russische Propaganda: Putin hat für jeden die richtige Botschaft, von Ingo Mannteufel (FAZ)
«Die Rakete kam aus Russland», von Christian Weisflog (NZZ)