Nach dem Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen ist das Verschwörungsdenken ein erkenntnistheoretischer Zwitter. Denn zwei gegensätzliche Erkenntnisprogramme sind für dessen Wahrheitssuche charakteristisch. Was offizielle Wahrheiten betrifft, ist der Verschwörungsideologe ein radikaler Skeptiker – im Gegensatz dazu wird die inoffizielle Version der Geschichte als unhinterfragtes Dogma gesetzt.
Der naive Wahrheitsglaube auf der eigenen und der paranoide Totalzweifel auf der Gegenseite sind auch verantwortlich für den unausgewogenen Blick auf die Quellen für und wider den eigenen Standpunkt, der Verschwörungsideologien grundsätzlich anhaftet. Das Offizielle gilt immer als gelogen, das Inoffizielle dagegen muss notwendig stimmen.
Verschwörungsdenken ermöglicht die Totalsuggestion des eigenen Durchblicks
Mit den Worten Bernhard Pörksens gesprochen, gestatten Verschwörungserzählungen „eine Sofort-Entwertung jeder offiziellen Information, mit der man sich nicht genau beschäftigen möchte, bei einer gleichzeitigen Totalsuggestion des eigenen Durchblicks“.
Verschwörungsmythen und andere Fake News sind also auf keinen Fall mit konstruktivistischen Theorien zu verwechseln, die generelle Zweifel an „Wahrheit“ anmelden. Zwar vereinnahmen Verschwörungsideologen manchmal aus argumentationstaktischen Gründen die postmoderne Einsicht, dass auch wissenschaftliches Wissen niemals total unabhängig von politischen Standpunkten, normativen Einstellungen und kulturellen Kodierungen ist. Verschwörungsideologen gehen jedoch hochgradig einseitig mit Wahrheit und Zweifel um. Verschwörungsdenken hat grundsätzlich Schlagseite.
Der französische Wissenschaftssoziologe Bruno Latour stellte einmal fest, dass die meist reaktionären Vertreter „alternativer Fakten“ – etwa die Leugner des Klimawandels – einen ursprünglich emanzipatorischen, auf Machtkritik abzielenden Relativismus für ihre eigene Agenda in Beschlag genommen haben. Ein solcher emanzipatorischer Ansatz bestimmt jedoch keineswegs den grundsätzlichen Modus ihres Denkens.
Dieser gespaltene Umgang mit der Wahrheit ist im Übrigen auch typisch für die „alternativen Wahrheitssysteme“ der rechtspopulistischen Lautsprecher von Donald Trump bis Jair Bolsonaro. Politische Gegner lügen in ihrer Auffassung grundsätzlich, während sie selber fraglos und immer in der reinen Wahrheit wandeln.
Quelle:
Verrenkungen der Verschwörungsideologen: Der schwere Irrtum der einfachen Wahrheit (Tagesspiegel)
Wenn Zweifel und Misstrauen nur auf die Gegenposition gerichtet sind und die Annahmen des eigenen Lagers davon ausgenommen werden, dann handelt es sich um toxischen Zweifel und toxisches Misstrauen. Sie sind im Verschwörungsdenken stark verankert und unterscheiden sich fundamental von gesundem Zweifel und gesundem Misstrauen, die für Demokratie und Wissenschaft unverzichtbar sind.
Siehe dazu:
Über toxische Zweifel undtoxisches Misstrauen