Verschwörungsdenken und viele abstruse Theorien und Geschichten machen derzeit die Runde. Eva Marlene Hausteiner fragt:
«Wie können wir noch unterscheiden zwischen gesundem Misstrauen und Verschwörungswahn?»
Sie ist arbeitet am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
Man könne den Eindruck gewinnen, dass verschwörungstheoretisches Misstrauen immer weiter um sich greife, schreibt Hausteiner in einem philosophischen Kommentar für Deutschlandfunk Kultur:
«Es scheint, als seien wir nun alle im postfaktischen Zeitalter angekommen, in dem wir keiner Wahrheit glauben und voll Misstrauen in die Welt blicken.»
Hier die wichtigsten Aussagen aus dem Kommentar:
☛ Durch Social Media sowie andere Untiefen des Internet zirkuliert Verschwörungsdenken aller Art unablässig, rasend schnell und unter Beteiligung von Millionen von Menschen und Bots.
☛ Hausteiner unterscheidet zwei Formen des Verschwörungsdenkens:
- Die klassischen Verschwörungstheorien à la antisemitische Weltverschwörung. Sie behaupten, komplexe globale Zusammenhänge folgten einfachen Mustern – nämlich den geheimen Plänen böser Mächte.
- Hinzu kommen aber in letzter Zeit noch zerfaserte Verschwörungsgerüchte à la QAnon oder die jüngsten „Corona gibt es nicht“-Behauptungen. Sie streuen unzusammenhängende Verdachtsmomente und operieren viel über Bilder und Memes. Klare Orientierung stiften sie jedoch nicht.
Verschwörungsdenken nimmt Gut-Böse-Einteilungen vor
☛ Das Verschwörungsdenken hat in beiden Formen einen schlechten Ruf: Es nimmt Gut-Böse-Einteilungen vor, leitet aus dünnen Beweislagen extrem weitgehende Schlüsse ab und beschädigt nachweislich das Vertrauen in demokratische Institutionen.
☛ Während klassische, zusammenhängende Verschwörungstheorien Zweifel an Herrschaftseliten und Medien säen, glauben die Anhänger von QAnon und Anti-Corona mitunter an gar nichts mehr. Faktenäußerungen werden relativiert und mit „alternativen Fakten“ konfrontiert. Schlussendlich bleibt eine Kultur des Misstrauens.
☛ Nicht jede Äußerung des Misstrauens ist jedoch schon eine Verschwörungstheorie. Seit politische Herrschaft existiert, gibt es auch Komplotte, Machtmissbrauch und Verschwörungen. Darum kann es sinnvoll und nötig sein, Verschwörungen zu enthüllen.
☛ Skepsis und kritische Prüfung sind wichtige Werkzeuge der Machtkontrolle – insbesondere dann, wenn die Regierenden nicht von sich aus bereit sind, öffentlich Rechenschaft abzulegen und dem demokratischen Imperativ der Transparenz zu folgen.
☛ Dieses Gebot ist vor allem dann von grosser Bedeutung, wenn demokratisch gewählte Regierende autokratische Tendenzen an den Tag legen. Zum Beispiel dann, wenn die Erfahrung zeigt, dass diesem Akteur, dieser Akteurin mit der Macht nicht zu trauen ist.
☛ Gut begründete Verdachtsmomente und die Forderung nach Rechenschaft sind also nicht zu verwechseln mit außer Rand und Band geratenen Verschwörungsgerüchten. Doch was unterscheidet beide? Es ist nicht zwingend der Wahrheitsgehalt des zugrunde liegenden Verdachts. Problematisch wird es nach Hausteiner vielmehr dann, wenn dieses Misstrauen ganze Weltsichten dominiert und mit Gut-und-Böse-Zuschreibungen versieht.
☛ Zum US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump sagt Hausteiner: «Jemandem, der so offensichtlich gerne Autokrat wäre, ist selbstverständlich unbedingt mit Misstrauen zu begegnen. Klar sein muss dabei aber: Der Grat zum Verschwörungsdenken, das alle Maßstäbe verzerrt, ist schmal.»
Quelle:
Verschwörungstheorien säen eine Kultur des Misstrauens (Deutschlandfunk Kultur)
Siehe dazu auch zum Unterschied zwischen gesundem Misstrauen und toxischem Misstrauen:
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen