In Polen ist Impfskepsis weit verbreitet. Viele Menschen im Land wollen sich nicht gegen das Coronavirus impfen lassen. Den traditionellen Impfgegnern schließen sich nun auch Prominente und Politiker an. Verschwörungstheorien spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Und die Politik der Regierung in Polen trägt derzeit kaum dazu bei, die Verunsicherung zu beenden.
Viele Menschen in Polen fühlen sich sogar durch die offizielle Corona-Impfkampagne verunsichert und zu wenig aufgeklärt. Dabei ist Impfskepsis in ihrem Land ohnehin so weit verbreitet wie in wenigen anderen europäischen Ländern.
Beinahe täglich informiert Polens Premier Mateusz Morawiecki in Pressekonferenzen über die eintreffenden Lieferungen von Corona-Impfstoff. Er appelliert an seine Landsleute, sich impfen zu lassen, und spricht enthusiastisch über eine baldige „Rückkehr zur Normalität“. Diese Propaganda scheint aber eher eine entgegengesetzte Wirkung zu haben.
Auch der Soziologe und Gesundheitsexperte Tomasz Sobierajski von der Universität Warschau spricht von einer „aufgeblasenen Erfolgspropaganda“. Seiner Ansicht nach ist die Regierung am Misstrauen gegenüber Impfungen schuld, weil sie keine Informationskampagne durchführt.
Zum Beispiel versuche kaum jemand, den Menschen zu erklären, dass der Corona-Impfstoff, anders als viele fürchteten, die menschlichen Gene nicht beeinflusse.
Dass sich gemäss Umfragen nur vier bis fünf von zehn Befragten gegen das Coronavirus impfen lassen wollen, erstaunt den Soziologen nicht – die Skepsis gegenüber Impfungen sei in Polen ja nichts Neues: „Anders als in westlichen Ländern beruht unsere Einstellung zu den Impfungen auf Aberglauben und Zaubersprüchen.“ Polen werde im Endeffekt noch lange in der Verzweiflung der Pandemie stecken, warnt Sobierajski.
Misstrauen und Verschwörungstheorien in Polen
Den Impfskeptikern schließen sich inzwischen auch Prominente an und ebenso Politiker des Regierungslagers. „Ich werde mich nicht impfen lassen“, erklärte vor Kurzem Janusz Kowalski, Staatssekretär im Ministerium für Staatsvermögen in einem Interview mit dem Portal Wirtualna Polska. Es sei eine Frage der Freiheit und der individuellen Entscheidung, meinte der Minister.
Als Frage der Freiheit wird die Corona-Impfung auch von den polnischen Impfgegnern der Vereinigung STOP NOP (Stoppt Unerwünschte Impfreaktionen) aufgefasst. Sie stellten in den letzten Monaten nicht nur das Impfen, sondern darüber hinaus gar die Existenz der Covid-Pandemie selbst infrage. Womit sie im Bereich der Verschwörungstheorien gelandet sind.
Zum Forum der Impfgegner in Polen ist der private, spendenfinanzierte Fernsehsender NTV in Breslau geworden. Sein Gründer und Chef Janusz Zagorski nimmt für seinen Sender in Anspruch, er wolle „Lügen um COVID-19 enthüllen“. Und er begründet dies mit einer ausgewachsenen Verschwörungstheorie: „Die Pandemie ist ein Instrument, mit dem die Mächtigen dieser Welt eine Kontrolle über unsere Gehirne anstreben.“ Das führt er noch weiter aus mit der Behauptung, bei der Impfung würden Mikrochips unter die Haut implantiert, die alle Informationen über den Menschen vermitteln könnten: „Man wird einen Menschen scannen können wie heute eine Ware im Supermarkt.“
Dass der studierte Politologe Zagorski derart absurde Verschwörungstheorien verbreitet, lässt an dem zweifeln, was er in seinem Studium gelernt hat. Aber Bildung schützt bekanntlich nicht vor dem Abdriften in Verschwörungstheorien.
Zu betonen ist aber auch, dass die Anhänger solcher Verschwörungstheorien in Polen eine Minderheit sind.
Vatikan akzeptiert Corona-Impfungen
Im weitgehend katholischen Polen spielt bei der Kritik an Impfungen auch ein Argument eine Rolle, das mit der Verwendung von Zellen abgetriebener Föten bei der Produktion bestimmter Impfstoffe zu tun hat. Das geschah zwar nur wenige Male in den 1960er Jahren, seitdem werden die damals gewonnen Zellen künstlich weitergezüchtet. Zudem waren die Abtreibungen legal und hatten nichts mit der Entwicklung von Impfstoffen zu tun. Nichtsdestotrotz behaupten Impfgegner pauschal, für die Produktion von Impfstoffen würden abgetriebene Föten verwendet.
Der Vatikan verlangt von der Pharmaindustrie zwar einerseits die Herstellung ausschließlich „ethischer Impfstoffe“, hält es jedoch für akzeptabel, wenn Impfstoffe, die auf Föten-Zelllinien basieren, eingesetzt werden, solange keine anderen verfügbar sind. Angesichts der Corona-Pandemie erneuerte der Vatikan diesen Standpunkt vor Kurzem noch einmal.
Diesem Statement schloss sich in der Zwischenzeit auch die polnische Bischofskonferenz an. Die bioethischen Experten des polnischen Episkopats liessen in einer Erklärung verlauten, die Verwendung von Impfstoffen, die auf Föten-Zelllinien basierten, sei nicht mit der Befürwortung der Abtreibung gleichzusetzen. Deshalb dürfe jeder Mensch, auch ein Katholik, solche Impfungen empfangen, wenn keine anderen Impfstoffe zugänglich seien. In Polen haben solche Erklärungen katholischer Instanzen durchaus Gewicht.
Quelle:
Polen: Ein Land voller Impfskeptiker (Deutsche Welle)
Anmerkungen:
☛ Wenn der Minister Janusz Kowalski in Bezug auf die Impfung von Freiheit und Eigenverantwortung spricht, hat er einen sehr engen Freiheitsbegriff. Eine Impfung ist auch eine solidarische Handlung zugunsten der Allgemeinheit. Die Entscheidung für oder gegen eine Impfung betrifft daher nie nur das Individuum selbst.
☛ Eine wichtige politische Verschwörungstheorie, die Polen sehr prägt, dreht sich um den Flugzeugabsturz von Smolensk. Siehe dazu:
Smolensk – Verschwörungstheorie zum Flugzeugabsturz