Es gibt keine Gebrauchsanweisung, nach der sich Verschwörungstheorien quasi mit Erfolgsgarantie «knacken» lassen. Aber es gibt eine Reihe von Punkten, deren Beachtung sinnvoll ist, wenn man mit Verschwörungstheorien konfrontiert ist. Die Kenntnis dieser Punkte hilft dabei, nicht in argumentative Fallen zu tappen und Chancen in der Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien zu nutzen.
Hier dazu nützliche Informationen:
Der Verweis auf fehlende Beweise für eine Verschwörungstheorie läuft ins Leere
Verschwörungstheoretiker gehen in der Regel sowieso davon aus, dass es keine Beweise gibt. Aus ihrer Sicht zeigt sich die Macht der Verschwörer ja gerade darin, dass sie alle Beweise verschwinden lassen können (Quelle: Himmelrath/Egbers 2018, Seite 57). Und jeder Beleg, der die Verschwörungstheorie widerlegen könnte, wird zum Teil der eingebildeten Verschwörung. Auch wer auf sachliche Schwächen und Widersprüche einer Verschwörungstheorie hinweist, wird zum Teil der Verschwörung oder ist von ihnen gekauft.
Prävention ist wirksamer als nachträgliche Korrektur
Verschiedene psychologische Studien deuten darauf hin, dass Menschen gegen potenziell gefährliche Wirkungen von Verschwörungstheorien immunisiert werden können. Das gelingt aber nur dann, wenn sie die korrekten Fakten oder noch besser die korrekte Geschichte frühzeitig erfahren. Haben sich die falschen Theorien und Geschichten einmal festgesetzt, wird es schwierig, sie wieder zu korrigieren. Psychologen fordern deshalb neue Bildungsinstrumente, um den negativen Effekten von Verschwörungstheorien frühzeitig entgegenwirken zu können (Quelle: Himmelrath/Egbers 2018, Seite 58).
Viele Millionen von Menschen haben zwar von verschwörungsmythologischen Erzählungen gehört, glauben sie aber nicht wirklich. Genau bei diesen Moderaten, Neutralen, Unentschlossenen und Zweiflern kann Information und Aufklärung ansetzen. Im Gegensatz zu den «Vollblut-Verschwörungstheoretikern» sind sie nämlich noch erreichbar für den Dialog auf der Basis von Argumenten. Wie bei medizinischen Impfungen muss die Immunisierung aber vor dem Kontakt mit der eigentlichen Krankheit stattfinden (Quelle: Skularek 2019, Seite 194).
Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungsmythen sind gegen Argumente immun
Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungsmythen lassen sich nur schwer in der direkten Auseinandersetzung durch bessere Argumente überzeugen. Sie sind gegenüber widerlegenden Argumenten weitgehend immunisiert. Erfolg versprechender sind wohl die Ansatzpunkte im folgenden Abschnitt
Welche Ansatzpunkte sind wirksamer?
Weil Argumente allein oft nicht ankommen, braucht es darüber hinaus weitere Ansatzpunkte. Hier dazu ein paar Anregungen:
☛ Genau nachfragen
Der US-Psychologe Rob Brotherton empfiehlt: «Ich vermute, es ist entscheidend, die Leute einfach ihre Position erklären zu lassen, was sie denken und warum sie es denken. Es ist besser, sie selbst ihr Denken hinterfragen zu lassen, als eine Debatte anzuzetteln. Dann wird es schnell zu einem Wettkampf, wer den anderen überzeugen kann.» Und dieser Wettkampf um bessere Argumente und damit um argumentative Beweise führe so gut wie nie dazu, dass ein Verschwörungstheoretiker sich von seinen Erklärungsmustern wieder verabschiede (Quelle: Himmelrath/Egbers 2018, Seite 57). Genau nachfragen während den Erklärungen kann effektiv sein.
☛ Statt sich in der Auseinandersetzung um detaillierte Argumente zu verstricken, können Verschwörungstheorien auf einer Metaebene in Frage gestellt werden.
Es geht dabei um grundsätzliche Schwachpunkte des verschwörungsideologischen Denkens:
– Das Schwarz-Weiss-Denken, die Feindbilder, das Manichäische. Dieses Spalterische steht auch in krassem Widerspruch zu «ganzheitlichen» Vorstellungen, die Verschwörungstheoretiker oft gleichzeitig im Kopf haben.
– Das Mechanistische des verschwörungstheoretischen Denkens. Eine Ursache (die Verschwörer), bewirkt alle Folgen (die Ereignisse). Diese Vorstellung ist vollkommen unterkomplex und steht in krassem Widerspruch zu «ganzheitlichen» Vorstellungen, die Verschwörungstheoretiker oft gleichzeitig im Kopf haben.
– Die verschwindend kleine Chance, dass grössere Verschwörungen über längere Zeiträume geheim gehalten werden können. Bereits Machiavelli 1469 – 1527) hat Verschwörern empfohlen, dass eine Verschwörung nicht mehr als drei Mitwisser haben darf und dass sie möglichst kurz dauern soll, weil sie sonst leichter auffliegen könnte.
(siehe: Verschwörungen fliegen irgendwann auf – Verschwörungstheorien nie ).
– Die fragwürdige Annahme der Verschwörungstheoretiker, dass Ereignisse sich vollständig steuern lassen.
Siehe dazu:
Ein starkes Argument gegen Verschwörungstheorien: Geschichte ist nicht planbar
Geschichtskompetenz (historical literacy) zur Vorbeugung gegen Verschwörungstheorien
– Hanlon’s Rasiermesser (Hanlon‘s Razor): Der Begriff bezeichnet ein Sprichwort, das eine Aussage über den wahrscheinlichsten Grund von menschlichem Fehlverhalten trifft. Es lautet: „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“. Oder kürzer: „Geh nicht von Böswilligkeit aus, wenn Dummheit genügt“. Hanlon’s Razor liesse sich noch erweitern: «Geh nicht von Böswilligkeit aus, wenn Dummheit, Irrtum, Schlamperei oder Zufall genügt.“ Das stellt Verschwörungstheorien, die nachdrücklich von Böswilligkeit ausgehen, fundamental in Frage.
Sich klarmachen, dass man rasch als Teil der angeblichen Verschwörung gesehen wird, sobald man die Verschwörungstheorie in Frage stellt
Zwei Vorbeugemassnahmen können dieses Risiko möglicherweise verringern:
(1) Zu Beginn schon eine dialogische Beziehung aufbauen, falls das geht. Das bedeutet zum Beispiel: Echte Wertschätzung vermitteln für das Engagement, das die betreffende Person zeigt. Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungstheorien sind oft hochgradig zu gesellschaftlichen Fragen engagiert. Sie unterscheiden sich dadurch von vielen Gleichgültigen, die sich nur um ihren privaten Kram kümmern. Das kann durchaus anerkennenswert sein. Erst auf dem Boden solcher Wertschätzung kann der (verschwörungstheoretische) Weg, den dieses Engagement geht, wirksam in Frage gestellt werden.
(2) Den Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungstheorien klar machen, dass Kritik an «Eliten» (was immer das sein soll), an Medien, an Politikerinnen und Politikern etc. selbstverständlich zulässig und nötig ist. In einem zweiten Schritt sollte dann vermittelt werden, dass Kritik und verschwörungstheoretisches Geraune nicht dasselbe sind.
Siehe dazu: Lob der Kritik
Vor inhaltlichen Diskussionen wenn möglich Ressourcen klären
Sich auf argumentative Auseinandersetzungen mit Anhängerinnen und Anhängern von Verschwörungstheorien einzulassen, kann anstrengend werden. Trotzdem ist es aber manchmal nötig, auch inhaltlich Gegensteuer zu geben. In solchen Fällen ist es sinnvoll, sich vorgängig Klarheit über Ziele und Ressourcen zu verschaffen:
Reicht mein Wissen für ein Streitgespräch über dieses Thema?
Kann ich mir im Umfeld Unterstützung holen?
Worin liegt das Ziel des Gesprächs? Will ich den Verschwörungstheoretiker überzeugen (schwierig) oder geht es um still Mithörende oder Mitlesende zum Beispiel in Sozialen Medien und Foren (kann sehr wichtig sein). Das beeinflusst die Diskussionsführung.
Wo liegen meine Grenzen (zeitlich, inhaltlich)? Sind sie erreicht, muss ich klar stopp sagen können. Franzi von Kempis (2019, Seite 102) schreibt dazu:
«Man sollte sich auch an die gesellschaftliche rote Linie halten: Verschwörungstheoretische Aussagen spielen oft mit antidemokratischen Elementen oder antisemitischen Thesen auch wenn sie vermeintlich für Demokratie einstehen. Demokratie steht für eine pluralistische Gesellschaft, Demokratie ist keine Diktatur der Mehrheit und setzt sich für Minderheiten ein. Wichtig ist: Sich nicht aufs Glatteis führen lassen und auf menschenfeindliche Äusserungen klar aufmerksam machen.»
Wird diese rote Linie überschritten, sollte man das klar benennen und unter Umständen auch das Gespräch beenden, um nicht demokratiefeindlichen Positionen unnötigerweise ein Podium zu verschaffen.
Widerlegen, aber richtig
Falsche Informationen, Gerüchte und Verschwörungstheorien auszuräumen ist nicht einfach. Wie das gelingen kann, haben John Cook und Stephan Lewandowsky in einem Leitfaden beschrieben. Hier dazu ihre Checkliste:
«Zentrale Fakten – eine Widerlegung muss die Fakten betonen, nicht die Falschinformation. Beschränken Sie sich auf die wichtigsten Fakten, um den Bumerang- Effekt der Informationsüberladung zu verhindern;
Eindeutige Warnungen – bevor ein Gerücht überhaupt erwähnt wird, sollte durch Text oder visuelle Hinweise davor gewarnt werden, dass die nachfolgende Information falsch ist;
Alternative Erklärung – wenn die Widerlegung Lücken hinterlässt, müssen diese wieder gefüllt werden. Dies kann dadurch erreicht werden, dass eine alternative ursächliche Erklärung dafür geliefert wird, warum das Gerücht falsch ist und – wenn gewünscht – warum das Gerücht überhaupt verbreitet wurde;
Grafiken – wann immer möglich, sollten die Kernaussagen grafisch dargestellt werden.»
Aus: Widerlegen, aber richtig (dort weitere Informationen)
Backfire-Effekt im Auge behalten
Als Backfire-Effekt (Bumerang-Effekt) bezeichnet die Politikwissenschaft das Phänomen, dass neue Fakten, die den eigenen politischen Ansichten widersprechen, diese noch stärker verfestigen können.
Den Begriff prägten die Politikwissenschaftler Brendan Nyhan and Jason Reifler. In einer Publikation von 2010 untersuchten sie das Phänomen und kamen zu dem Resultat, dass die Konfrontation mit Fakten und Argumenten bei Menschen, die einer politischen Ideologie anhängen, oftmals zum Gegenteil des Angestrebten führt.
(Quelle: Wikipedia)
Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker wollen in einer Diskussion in der Regel keine Argumente hören. Sie wollen Recht haben. Überschüttet man sie mit Argumenten, löst das oft Abwehr aus, die man dem Backfire-Effekt zuschreiben kann. Nimmt man in der Diskussion eine solche Abwehr wahr, sollte man den Impuls, noch mehr Argumente zu liefern, jedenfalls vorerst ruhen lassen und durchatmen. Einfach sind solche Situationen nicht gerade, doch gibt es nützliche Ansatzpunkte:
Hilfreich wäre es wohl in den meisten Fällen, das Gegenüber auf einer emotionalen Ebene zu erreichen. Finde ich einen Punkt, an dem ich dem Gegenüber ehrlicherweise sagen kann: «Da hast Du Recht»? Kann ich ehrlicherweise an einem Punkt Anerkennung ausdrücken, zum Beispiel bezogen auf Interesse oder Engagement für das Thema?
Zudem ist eine Portion Einfühlungsvermögen nützlich. Der Backfire-Effekt kommt nur zum Zug bei emotionalen Themen, die für den betreffenden Menschen grössere Bedeutung haben. Mit solchen Themen hat jeder Mensch eine längere Geschichte, die es zu anerkennen gilt. Diese hoch besetzten Themen sind oft ein wesentlicher Teil unserer Identität. Harald Lesch hat diesen Punkt gut erklärt in einem Video auf Terra X:
Warum ignorieren wir Fakten? Der Backfire-Effekt (5 Min)
Wenn man jemanden von seinen (irreführenden) innersten Überzeugungen abbringen will, muss man ihm sein Würde lassen, legt Harald Lesch nahe. Und man muss Brücken bauen. Dazu ist es nützlich, die zugrunde liegenden Bedürfnisse des Gegenübers zu verstehen, auch wenn das vor allem bei extremeren oder gar gefährlichen Verschwörungstheorien oft nicht leicht fällt. Aber Bedürfnisse wie zum Beispiel auf der richtigen Seite zu stehen, sich überlegen fühlen, Orientierung und Durchblick zu haben etc. sind wohl keinem Menschen völlig fremd. Und Verschwörungstheorien bedienen genau solche Bedürfnisse. Schlussendlich kann es auch den eigenen Furor etwas mildern, wenn man sich den Satz vergegenwärtigt, den Lesch am Schluss seines Videos sagt: «Irren ist menschlich».
Im Umgang mit dem Backfire-Effekt ist es darüber hinaus wichtig, dass man sich nicht in Detailstreitereien über einzelne Aspekte der jeweiligen Verschwörungstheorie verstricken lässt, sondern immer wieder auch die Metaebene einbezieht oder sogar ganz auf dieser bleibt. Man spricht dann zum Beispiel Hanlons-Rasiermesser an (siehe oben), das Schwarz-Weiss-Schema, den Sündenbock-Mechanismus, den Unterschied zwischen toxischem und gesundem Zweifel, die Erfahrung, dass grössere Verschwörungen kaum geheim bleiben können, die Erkenntnis, dass Geschichte nicht planbar ist….
Pathologisierung von Verschwörungstheorien vermeiden
Es ist weder sinnvoll noch adaquat, Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungstheorien zu pathologisieren. Sebastian Bartoschek schreibt dazu:
Früher und heute«Der Glaube an Verschwörungstheorien ist im Allgemeinen kein Ausdruck einer psychischen Störung. Natürlich gibt es psychische Störungen wie die paranoide Schizophrenie oder die Paranoia als Wahn, die den Glauben an eine Verschwörungstheorie beinhalten können. Zu den Symptomen dieser schwerwiegenden Störungen gehören u. a. Halluzinationen, der Verlust des eigenen Ich oder gar selbst- und fremdgefährdendes Verhalten. Psychisch Gestörte brauchen Hilfe, sie leiden. Wer jeden Verschwörungstheoriegläubigen als krank bezeichnet, der tut vor allem den Kranken Unrecht – unterscheiden sich doch die Anzeichen und Ausprägungen dieser klinischen, krankhaften Störungen deutlich von dem, was ‘normalen’ Glauben an eine Verschwörungstheorie auszeichnet. Dabei ist es vielmehr so, dass fast jeder psychisch gesunde Mensch eine gewisse Affinität zu Verschwörungstheorien hat. Doch einige Menschen sind empfänglicher dafür als andere Menschen.»
(aus: Verschwörungstheorien früher und heute, 2019)
Der Sozialpsychologe Dr. Roland Imhoff übt Kritik an der auch in der Forschung verbreiteten Wahrnehmung von Verschwörungstheoretikern als Personen mit psychischen Problemen. Er hat diese Zusammenhänge in einer Studie erforscht und sieht zwar einen gewissen Zusammenhang zwischen Paranoia und Glauben an Verschwörungen. Die Unterschiede bei der Wahrnehmung der Gefahren und der Gefährder seien aber groß: „Paranoide Personen glauben, dass praktisch jeder ihnen persönlich schaden will. Verschwörungsanhänger glauben, dass es eine kleine Gruppe der Mächtigen gibt, die praktisch jedem anderen schaden will.“
Für die Studie wurden zahlreiche vorangegangene Arbeiten über Verschwörungsanhänger ausgewertet und schließlich zwei eigene Befragungen mit 209 deutschen und 400 US-Teilnehmern durchgeführt. Gefragt wurden die Probanden unter anderem nach der Zustimmung zu Aussagen wie: „Es gibt politische Kreise mit verborgenen Absichten, die großen Einfluss haben.“
Die Resultate hätten gezeigt, dass die Motivation für Glauben an Verschwörungstheorien hauptsächlich mit soziopolitischen Faktoren wie einem Misstrauen in die Regierung zu tun habe, während Paranoia davon losgelöste Persönlichkeitsmerkmale zeige. Verschwörungsanhänger gäben einigen wenigen machtvollen Personen die Schuld, während Menschen mit Paranoia die „gesamte Menschheit“ verantwortlich machten.
Imhoff räumte allerdings ein, dass auch seine Studie Einschränkungen hat. Es wurden dabei keine schweren Fälle klinischer Paranoia als Vergleichswert einbezogen, sondern eine zufällige Auswahl von Personen befragt. Da die Resultate nicht auf einer Langzeitstudie beruhen, könne man keine Aussagen darüber treffen, ob und wie sich Paranoia und Verschwörungsglauben gegenseitig beeinflussen.
Quellen zum Abschnitt „Pathologisierung von Verschwörungstheorien vermeiden“:
Studie: https://doi.org/10.1002/ejsp.2494
Siehe auch:
Verschwörungstheorien widerlegen….geht das? Und wenn ja wie?