Der Tages-Anzeiger hat einen Beitrag veröffentlicht zum Ausmass von Polarisierung und zur Verbreitung von Verschwörungstheorien in der Schweiz:
«Verschwörungsglauben ist in der Schweiz weitverbreitet. Rund 50 Prozent der Bevölkerung haben gemäss einer Studie der Universität Zürich während der Pandemie Verschwörungsaussagen zugestimmt, wonach Corona künstlich geschaffen worden sei, um Macht auszuüben oder sogar um die globale Bevölkerung zu reduzieren. Und gemäss einer Untersuchung der ZHAW von 2022 äussern sich 27 Prozent eher zustimmend zu Verschwörungstheorien. Unter denjenigen, die stark an Verschwörungsmythen glauben, sind junge Menschen mit eher rechter Gesinnung signifikant häufiger vertreten. Aber auch ganz linke Ansichten korrelieren überproportional mit Verschwörungsmentalität.»
Politökonom Ivo Scherrer hält die Verbreitung von Verschwörungstheorien für die zunehmende Polarisierung für relevant, da sich Verschwörungsglauben sehr einfacher Freund-Feind-Bilder bedient. Es handle sich um sehr geschlossene Erzählungen, die kaum Widerspruch zuliessen und emotional stark aufgeladen seien.
«Mit jemandem, der wirklich an Verschwörungen glaubt, in einen konstruktiven Dialog zu treten, ist sehr schwer», erklärt Scherrer. Er weist darüber hinaus auf die Gefahr hin, dass Menschen, die stark an Verschwörungen und damit an die Macht düsterer Eliten glauben, eine Mischung aus Ohnmacht und Zynismus entwickeln und der Demokratie in der Folge den Rücken zukehren.
Den Dialog mit Verschwörungsgläubigen abzubrechen oder gar nicht erst zu suchen, ist für Ivo Scherrer dann legitim, wenn das Gegenüber entweder anderen Menschen die Würde oder die Legitimität abspricht, ihnen vorwirft, Teil der Verschwörung zu sein, oder grundlegende wissenschaftliche Fakten nicht anerkennt.
Der Politökonom weist darauf hin, dass Zukunftsängste Verschwörungsglauben befeuern. In Anbetracht der gegenwärtigen Krisen erwartet er nicht, dass sich alles wieder schnell beruhigt: «Digitale Kanäle haben es für Verschwörungsanhängerinnen und -anhänger einfacher gemacht, Gleichgesinnte zu finden und sich so gegenseitig zu bestärken.»
Quelle:
So polarisiert ist die Schweiz – ein grafischer Überblick (Tages-Anzeiger)
Anmerkungen:
Dass Verschwörungstheorien auch in der Schweiz an Bedeutung gewinnen zeigt sich auch am Auftauchen von Fantasien und Unterstellungen von Wahlbetrug. Die Verschwörungstheorien vom Wahlbetrug wurden und werden intensiv bewirtschaftet durch Donald Trump. Es hat sich inzwischen gezeigt, dass diese antidemokratische Masche in vielen weiteren Ländern vor allem bei Rechtspopulisten übernommen wird. Beispiele dafür findet man beim brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro, aber auch AfD und FPÖ spielen immer wieder mit dieser Karte.
„Eine faire Wahl als gefälscht zu bezeichnen, ist so kriminell wie eine gefälschte Wahl fair zu nennen“ (Schach-Legende Gary Kasparow)
Bis vor wenigen Jahren wäre es in der Schweiz kaum vorstellbar gewesen, dass Fantasien und Unterstellungen von Wahlbetrug herumgeistern. Das Vertrauen in das Schweizer Wahlsystem war und ist zurecht gross. Nicht so für die rechtsextreme Bewegung «Mass-Voll». Sie unterminiert dieses Vertrauen und schreibt auf Twitter:
«Briefwahl? Besser nicht! Wichtig: Um Wahlmanipulation durch die Schweizer Post, deren Verwaltungsratspräsident der ehem. SP-Präsident Christian Levrat ist, zu verunmöglichen, werfen Sie das Wahlcouvert direkt bei der Gemeinde oder am Wahlsonntag in die Urne ein.»
Quelle: https://twitter.com/Schneimere/status/1710246714051825790/photo/1
«Mass-Voll» zeigt sich mit dieser Aussage nicht nur komplett als realitätsentfremdet. Die Unterstellung ist antidemokratisch, weil sie ohne Anlass und Beleg das Vertrauen in demokratische Wahlen unterminiert. «Mass-Voll» ist ein Feind der Demokratie in der Schweiz. Die Diffamierung der Schweizer Post ist absurd und die Vorstellung, der Verwaltungsratspräsident würde einen Wahlbetrug mit Briefstimmen einfädeln, und alle daran beteiligten Mitarbeiter würden darüber schweigen, ist absolut abwegig. «Mass-Voll» lebt in einer selbstgezimmerten Parallelwelt.