Wie gelingt es Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretikern, ihre Geschichte gegen innen und aussen zu verfestigen. Gegen innen, gegenüber sich selbst also und gegenüber der eigenen Gruppe, und gegenüber Aussenstehenden. Wie bekommt die Verschwörungstheorie unverdiente Glaubwürdigkeit? Der Historiker Richard J. Evans hat in seinem lesenswerten Buch «Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien» typische Merkmale im Vorgehen von Verschwörungstheoretikern beschrieben:
Typische Merkmale im Vorgehen von Verschwörungstheoretikern
Richard J. Evans beschreibt typische Merkmale im Vorgehen von Verschwörungstheoretikern so:
«Verschwörungstheoretiker legen eine ausserordentliche Detailversessenheit an den Tag, die sich häufig darin äussert, dass sie winzige Belege über alle Gebühr aufblasen und ihre Behauptungen mit Pseudogelehrsamkeit, quasiakademischen Dokumenteneditionen und endlosen Fussnoten untermauern. Bei der Untersuchung echter Belege akzeptieren sie auch nicht die geringste Unstimmigkeit oder kleinste Abweichung, wie sie etwa durch fehlerhafte Berichte oder durch geringfügige Diskrepanzen bei Zeitangaben entstehen können: Aus ihrer Sicht können derartige Unstimmigkeiten nur vorsätzlich und in Täuschungsabsicht eingefügt worden sein. Da sie solche Unstimmigkeiten ausräumen, behaupten Verschwörungstheorien der jeweiligen ‘offiziellen’ Version eines Ereignisses überlegen sein. Bestätigen Zeugen die ‘offizielle’ Version, müssen sie lügen, entweder weil sie selbst in die Verschwörung verwickelt sind und nicht entlarvt werden wollen oder – ein Standardthema von Verschwörungstheorien – weil sie erpresst werden. In vielen Fällen sind die Zeugen, die die Wahrheit, wie die Verschwörungstheoretiker sie sehen, hätten offenbaren können, gestorben, ermordet worden oder……einfach verschwunden.
Fehlen Dokumente, um eine Verschwörungstheorie zu belegen, werden sie fabriziert: Fälschung ist ein Faktor, der bei Verschwörungstheorien immer wieder eine Rolle spielt, angefangen bei den Protokollen der Weisen von Zion.»
Zwischenbemerkung:
Bei den Protokollen der Weisen von Zion handelt es sich um ein fiktives Pamphlet, das zu einem zentralen Schriftstück des Antisemitismus wurde. Mehr dazu siehe hier: Protokolle der Weisen von Zion
Richard J. Evans beschreibt anschliessend weitere typische Merkmale von Verschwörungstheorien:
«Alternativ kann auch erklärt werden, die fehlenden Dokumente seien auf mysteriöse Weise verschwunden, seien absichtlich vernichtet worden oder würden unterdrückt. Die Theorie selbst verändert sich nie, ganz gleich, wie viele angebliche Beweise neu hinzukommen. Neuentdeckungen werden nur dann berücksichtigt, wenn sie die konspirationistische Erklärung des jeweiligen Ereignisses stärken. Reale Belege, die gegen eine Verschwörungstheorie sprechen, werden für gewöhnlich ignoriert oder umgangen. Wenn nicht, wird in der Regel versucht, sie unglaubwürdig zu machen, indem denjenigen, die sie gefunden oder beigebracht haben, hinterhältige Beweggründe oder Eigeninteressen unterstellt werden.»
Quelle:
Richard J. Evans, «Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien», DVA Verlag 2020.
Anmerkungen zu «Typische Merkmale im Vorgehen von Verschwörungstheoretikern»:
☛ Dass Verschwörungsgläubige bei Unstimmigkeiten dazu neigen, Täuschungsabsicht und finstere Pläne zu vermuten, ist ein wichtiges Element. Unstimmigkeiten können sie sich nicht durch Zufall, Unfähigkeit oder ähnliches erklären. Verschwörungstheoretiker gehen konsequent von Bösartigkeit aus. Mehr dazu hier: Hanlon’s Rasiermesser / Hanlon’s Razor
☛ Weitere typische Merkmale von Verschwörungstheorien sind hier beschrieben:
Wodurch zeichnen sich Verschwörungstheorien aus? – Merkmale, Charakteristika