Am 18. September 2021 erschiesst ein Mann einen Tankstellenkassierer, weil der ihn bat, eine Maske zu tragen. Die Vernehmungsprotokolle zeigen, wie tief der Täter in Verschwörungstheorien verstrickt war. Ein Beispiel für die Nähe mancher Verschwörungstheorien zur Gewalt.
Der Täter Mario N. war Impfgegner und stolz darauf, nicht geimpft zu sein, jedenfalls nicht gegen das Coronavirus.
Dieses «Zeug», mit dem die Leute nun «zwangsgeimpft» werden sollten, sei nicht getestet, hat Mario N. in seiner Vernehmung in der Polizeiinspektion Idar-Oberstein behauptet. So ist es festgehalten in dem 39 Seiten langen Protokoll. Die Impfung würde die Blutplättchen verkleben, die Bilder habe er im Internet gesehen. Es ist der inzwischen verbreitete, wild grassierende Irrsinn.
Der harte Kern der Impfgegner wird sich durch beschlossene Einschränkungen und Massnahmen weiter verhärten. So lautet jedenfalls die Einschätzung von Polizei und Verfassungsschutz. Die Radikalisierung zeigt sich bereits in jenen Chat-Gruppen, in denen auch der Tankstellen-Täter Mario N. Mitglied war. Da wurde und wird offen über die «Eliminierung der Eliten» schwadroniert oder eine Verabredung für den Sturm auf das Parlament kommuniziert. Gewalt fängt mit Worten an und schwappt dann plötzlich aus dem Netz auf die Strasse oder zeigt sich in Attentaten.
«Kurzschlusshandlung» mit langer Vorgeschichte
Im Verhör versuchten die Beamten herauszubekommen, was den Täter antrieb und schliesslich in der Anwendung brutaler Gewalt gipfelte. Mario N. legte ein langes Geständnis ab und stritt nichts ab. Er habe eine «Kurzschlusshandlung» verübt und müsse dafür geradestehen. Doch je länger der Täter erzählt, umso mehr wird ein anderes Bild sichtbar.
Wenige Stunden nach der Tat sagt er in einem Raum der Polizeiinspektion Idar-Oberstein: «Wenn ich hundert Männer mit den entsprechenden Eiern hätte oder irgendwas, hätte ich eine Armee oder würde eine Armee gründen, würde ich die Verantwortlichen auf dem Weg ausschalten.»
Er habe ein Zeichen setzen wollen gegen die überzogenen Corona-Massnahmen und an «Frau Merkel» und den abtretenden Gesundheitsminister Jens Spahn komme er nun mal nicht heran.
Dann erwähnt einen weiteren prominenten Namen: «Ich komme auch nicht an einen George Soros ran.»
Die Soros-Verschwörungstheorie als Katalysator für Gewalt?
Der US-amerikanischen Börsenmilliardär George Soros ist ein Lieblings-Feindbild der Rechtsextremen und Rechtspopulisten. Der gebürtige Ungar spendet immer wieder für wohltätige Zwecke und für Menschenrechtsorganisationen und auch für Flüchtlingsprojekte. Rechtsextreme und Rechtspopulisten halten ihn für den Drahtzieher der Migrationsbewegungen und für den Organisator des «Grossen Austauschs». Dass sie damit einem hoch mechanistischen und realitätsfremden Welt- und Menschenbild aufsitzen, verstehen sie offenbar nicht.
Siehe dazu: Mechanistisches Weltbild der Verschwörungstheoretiker.
Das Feindbild Soros wurde vom ungarischen Premierminister Viktor Orban gezielt konstruiert und wird seitdem in Ungarn als staatliche Verschwörungstheorie politisch bewirtschaftet. Da Soros jüdischer Herkunft ist, passt das gut in uralte, bis heute gängige, antisemitische Feindbilder.
Und weil Mario N. nicht an Angela Merkel, Jens Spahn und George Soros herankommt, erschiesst er einen 20jährigen Tankstellen-Mitarbeiter? Wie feige und jämmerlich ist denn das!
Quelle:
Tödlicher Schuss wegen Masken-Aufforderung: Bis es knallt (Tages-Anzeiger, Abo)
Siehe auch:
Verschwörungstheorien als Katalysatoren von Gewalt
Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien – ein enger Zusammenhang
Corona-Massnahmen: Das Gerede von «Diktatur» ebnet den Boden für Gewalt