Unter dem Titel „Verschwörungstheorien – Herausforderung für Medien, Nutzer*innen und Demokratie“ fand an der Fachhochschule in St. Pölten das diesjährige Symposium Medienethik statt.
Diskutiert wurden dabei gesellschaftliche, ethische und persönliche Implikationen rund um Verschwörungstheorien. Die Fachleute warnten vor Radikalisierung und Spaltung, schätzten Verschwörungstheorien als schwer zu bekämpfen ein und gaben Tipps zum Umgang damit im persönlichen Umfeld.
Verschwörungstheorien existierten schon immer. Mit Phänomenen wie QAnon, der Kritik an der „Lügenpresse“, der Corona-Leugnung und der Klimawandel-Leugnung scheinen aber neue Quantitäten und Qualitäten dieser Konstrukte aufzukommen, insbesondere, weil sie mittels Social Media blitzschnell immer mehr Leute erreichen.
Am Symposium Medienethik 2021 ging es um das Wesen der Verschwörungstheorien – wie sie entstehen, warum sie so erfolgreich sind, wer sie antreibt, wie man sie erkennt und wie man verantwortungsvoll mit Falschinformationen umgehen kann.
Auf dem Podium diskutierten:
– Verena Fabris, als Leiterin der Beratungsstelle Extremismus und nationale „No Hate Speech“-Koordinatorin;
– Markus Sulzbacher als Ressortleiter Webstandard/Netbusiness;
– Andre Wolf (Pressesprecher der Faktenchecking-Organisation Mimikama);
– Alexander Warzilek (Geschäftsführer des Presserats in Österreich);
– Michael Litschka (FH-Dozent und Symposiumsorganisator).
Nachfolgend ein paar Statements aus diesem Symposium Medienethik.
Medienethik geht in Zeiten von Social Media alle Menschen an
Michael Litschka sagte: „Wir alle haben als sogenannte Produser*innen, also als Menschen, die in Zeiten von digitalen Plattformen und Social Media, Inhalte sowohl nutzen als auch erstellen, eine ethische Verantwortung.“
Verschwörungserzählungen als Katalysatoren für Radikalisierung und Spaltung
Dass Verschwörungserzählungen Radikalisierung und Spaltung fördern können, bringt Verena Fabris auf den Punkt:
„Verschwörungserzählungen können als Katalysator für Radikalisierungsprozesse wirken. Durch die Einteilung der Welt in ‚Gut‘ und ‚Böse‘ werden Gruppengrenzen und Spaltungen verstärkt. Es wird ein dualistisches Weltbild vermittelt, das sich einer Überprüfung durch Fakten und Gegenargumente widersetzt. Gefährlich wird es, wenn bestimmte Gruppen abgewertet werden und Gewalt als legitimes Mittel gesehen wird, sich gegen die vermeintliche Verschwörung zur Wehr zu setzen.“
Wenn Angehörige oder Freund*innen an Verschwörungsmythen glauben, empfiehlt Verena Fabris, in Kontakt zu bleiben und die Beziehung aufrecht zu erhalten. Die Expertin rät, den Vater, die Ehefrau, die Schwester als Person ernst zu nehmen, Interesse zu zeigen, nachzufragen, emphatisch zu sein und gleichzeitig klar Position zu beziehen, wenn es um rassistische, antisemitische, sexistische oder andere abwertenden Einstellungen geht.
Man könne nur kleine Zweifel säen und dazu müsse man einen langen Atmen haben.
Laut Markus Sulzbacher vom Standard-Watchblog hat die Corona-Pandemie bewirkt, dass Verschwörungsmythen Hochkonjunktur feiern und wissenschaftliche Erkenntnisse von zahlreichen Menschen ignoriert werden. Speziell beunruhigend findet Sulzbacher die Zunahme des Antisemitismus und das Auftreten von Neonazis bei sogenannten Corona-Demos. Er hält aber auch fest: „Nur weil Impfgegner und Rechtsextreme im Netz und auf den Demos lautstark auftreten, heißt es nicht, dass sie für die Mehrheit der in Österreich lebenden Menschen sprechen. Machen sie auch nicht.“
Im Kontext der Medienethik hält er es für wichtig zu hinterfragen, ob man Impfgegnern oder Menschen, die Unsinn verbreiten – zum Beispiel dass Echsenmenschen die Welt beherrschen – in Medien überhaupt eine Bühne geben soll. Wichtiger findet er es, wenn Expert*innen die Aussagen beurteilen und kommentieren.
Gegen Fakenews sind Fakten wirksam, Verschwörungsmythen sind schwerer zu widerlegen
Andre Wolf von Mimikama macht auf einen wichtigen Unterschied aufmerksam:
„Vor wenigen Jahren noch hätten wir hier gesessen und über die Gefahren von Fakenews gesprochen. Darüber sind wir jedoch hinaus und diskutieren nun über Verschwörungserzählungen. Fakenews können wir recht unproblematisch mit Fakten widerlegen. Verschwörungserzählungen hingegen bieten ein Erzähluniversum, dass Fakten ignoriert oder sie sogar in ihre Immunitätsmechanismen integriert.“
Laut Andre Wolf erleben wir gegenwärtig eine Renaissance uralter Verschwörungsmythen, die in ein neues, dynamisches Gewand gekleidet werden und somit funktionieren: „Verschwörungserzählungen bauen Feindbilder auf und vereinen dadurch Menschen. Sie bieten einfache Lösungen für komplexe Probleme und bieten ein Ventil für Aggressionen.“
Auch Alexander Warzilek weist auf die Schwierigkeiten hin, die bei der Bekämpfung von Verschwörungstheorien auftreten: „Die Crux der Verschwörungstheorien ist, dass ihre Anhänger nicht auf den Wahrheitsgehalt achten. Damit kann man alles abblocken, was ethischen Standards entspricht. Deshalb ist es so schwierig, gegen Verschwörungstheorien anzukämpfen.“
Die Live-Podiumsdiskussion des Symposiums Medienethik wurde gestreamt.
Symposium Medienethik 2021 auf Youtube:
Quelle:
Medienethik in Zeiten von Verschwörungstheorien: Bericht zum Symposium Medienethik der FH St. Pölten (Informationsdienst Wissenschaft, idw)
Anmerkung:
Wenn Medienethik heute uns alle angeht, dann wäre es notwendig, auf breiter Basis auch Medienkompetenz zu vermitteln.