In der SVP kann der russische Präsident Wladimir Putin auf eine Reihe von Freunden und Verehrern zählen. Neben SVP-Nationalrat Roger Köppel gehört auch der Aargauer SVP-Nationalrat Andreas Glarner dazu. Dass Andreas Glarner die russische Sichtweise unterstützt, sorgte an einer SVP-Fraktionssitzung im Aargau für einen Eklat. Dass Verschwörungstheorien dabei eine Rolle spielen, ist nicht weiter überraschend. Zwischen Populismus und Verschwörungstheorien gibt es vielfältige Verbindungen und Gemeinsamkeiten.
Der Aargauer SVP-Regierungsrat Jean-Pierre Gallati (55) und SVP-Nationalrat Andreas Glarner (59) gerieten schon in der Corona-Krise arg aneinander. Nun kam es an der Fraktionssitzung der SVP Aargau zum Eklat zwischen den beiden – wegen unterschiedlicher Ansichten zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
Die «Aargauer Zeitung» berichtete, dass Andreas Glarner an der Sitzung sagte, der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) verlängere mit seinem Verhalten den Krieg und der Westen sei mitschuldig am Konflikt mit Russland.
Diese Ansicht kam nicht gut an.
Ein Sitzungsteilnehmer soll die Aussagen von Glarner als «russische Propaganda und Verschwörungstheorien, die an die Position von Nationalrat Roger Köppel und dessen Weltwoche erinnern» bezeichnet haben.
Während eines Sitzungsunterbruchs konfrontierte Gallati zusammen mit SVP-Landammann Alex Hürzeler (56) den Kantonalpräsidenten Andreas Glarner. Jean-Pierre Gallati soll zu Glarner gesagt haben, er sei nicht nur ein «Putin-Versteher, sondern ein Putin-Verehrer».
Andreas Glarner rechtfertigt Putin-Position in der «Schweizerzeit»
Wenige Tage nach der Fraktionssitzung goss Andreas Glarner zusätzlich Öl ins Feuer und positionierte sich offenbar noch extremer.
In einem Beitrag in der rechtskonservativen «Schweizerzeit» verteidigt er Putins Position. Er wolle den von Wladimir Putin angezettelten Krieg nicht rechtfertigen, schreibt Andreas Glarner zwar laut «Blick».
Anschliessend unterstützt er jedoch die russischen Forderungen für einen Waffenstillstand. Dabei geht er sehr weit und erwähnt laut «Blick» Neutralität und Entmilitarisierung der Ukraine, Anerkennung von Donezk und Lugansk als Volksrepubliken und der Krim als russisches Hoheitsgebiet.
Klar im Fokus hat Andreas Glarner dabei die vorbestimmten Sündenböcke:
«Wenn dieses Angebot nicht angenommen wird, sind die EU und die USA ganz klar schuld an jedem weiteren Opfer dieses Krieges», schreibt Glarner laut «Blick».
Andreas Glarner verteidigt auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland sowie die militärische Unterstützung von Separatisten in den Gebieten Donezk und Lugansk. «2014 putschten die USA die russlandfreundliche Regierung der Ukraine aus dem Amt und installierten eine US-freundliche Regierung. Durch den Putsch der US-Amerikaner genötigt, besetzte Russland die Krim», argumentierte Glarner in seinem Beitrag in der «Schweizerzeit».
SVP-Fraktionschefin geht auf Distanz zu den Aussagen von Andreas Glarner
Mit seiner extremen Positionierung verärgert Andreas Glarner weitere Leute in der SVP. Die «Aargauer Zeitung» zitiert dazu einen weiteren Teilnehmer der Fraktionssitzung:
«Ich verstehe nicht, wie unser Präsident den Angriff Russlands auf einen souveränen Staat wie die Ukraine rechtfertigen kann, ihm fehlt ganz offenbar das nötige geschichtliche Wissen.»
SVP-Fraktionschefin Désirée Stutz distanziert sich ausdrücklich von Glarners Aussagen in der «Schweizerzeit». will sich jedoch zur fraglichen Fraktionssitzung nicht äussern. Die Thematik soll zudem in der nächsten Geschäftsleitungssitzung der SVP Aargau angesprochen werden.
Auch Jean-Pierre Gallati will sich nicht zur Fraktionssitzung äussern. An der Delegiertenversammlung des Aargauer Schiesssportverbandes sagte der SVP-Regierungsrat jedoch: «Im Ukraine-Krieg werden Freundschaft und Freiheit von der russischen Armee nicht nur mit Füssen getreten, sondern mit Waffen zerstört und vernichtet.»
Andreas Glarner hingegen verteidigt in der «Aargauer Zeitung» seine Position, dass nur der Westen und der ukrainische Präsident den Krieg beenden könnten. Selenski, die Nato und die EU könnten nicht einfach warten, bis die ganze Ukraine in Schutt und Asche liege, sagte Glarner, und ergänzte, jetzt helfe nur ein rascher Waffenstillstand zu den Bedingungen von Putin.
Es gibt in der SVP also durchaus unterschiedliche Positionen zum Ukraine-Krieg.
Eine Umfrage von Tamedia und «20 Minuten» zeigte Mitte März 2022 allerdings einen unübersehbaren Anteil an Putin-freundlichen Positionen.
Gefragt wurde unter anderem:
«Wie bewerten Sie Putins Rolle in diesem Konflikt?»
Der «Tages-Anzeiger» fasst die Antworten so zusammen:
«Nur eine knappe 53-Prozent-Mehrheit der SVP-Sympathisanten wollte Putin als ‘Kriegstreiber und Kriegsverbrecher’ bezeichnen. 40 Prozent antworteten: ‘Ich verurteile den Krieg, kann aber Putins Motive verstehen’. Das ist ein sehr hoher Anteil an Putin-Verstehern – bei allen anderen Parteien liegt der entsprechende Wert unter 20 Prozent. Sechs Prozent der SVP-Wählerinnen und -Wähler stimmten sogar dieser Aussage zu: ‘Ich sympathisiere mit Putin und der russischen Seite’.»
Quellen:
Russischer Angriffskrieg sorgt für Krach in der Aargauer SVP:
Gallati attackiert Glarner als «Putin-Verehrer» (Blick)
Krieg in der Ukraine: Die SVP und ihr Problem mit Wladimir Putin (Tages-Anzeiger, Abo)
Anmerkungen:
☛ SVP-Nationalrat Andreas Glarner negiert ganz offensichtlich das Völkerrecht, wenn er die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland sowie die militärische Unterstützung von Separatisten in den Gebieten Donezk und Lugansk verteidigt. Die Schweiz als Kleinstaat ist auf ein starkes, intaktes Völkerrecht angewiesen.
☛ Die Verschwörungstheorien in Glarners Äusserungen zeigen sich vor allem in der Unterstellung, dass die USA 2014 die russlandfreundliche Regierung der Ukraine aus dem Amt geputscht hätten. Für diese Behauptung gibt es nicht nur keine historischen Belege, sie deckt sich auch 1:1 mit der russischen Propaganda. Es stellt sich die Frage, woher SVP-Nationalrat Andreas Glarner seine Informationen bezieht (Weltwoche? RT Deutsch?). Zudem gilt: Wer derart weitreichende Behauptungen aufstellt, sollte auch Belege dazu liefern. Niemand ist in der Pflicht, Glarners Behauptung zu widerlegen. Wer behauptet, ist beweispflichtig.
Alice Bota und Kerstin Kohlenberg haben im Mai 2015 einen Artikel in der «Zeit» zu den Maidan-Protesten und zur Rolle Obamas veröffentlicht:
Die USA haben den Maidan nicht gekauft (Zeit)
Feindbilder und Sündenböcke
☛ Mit den «USA» liefert Glarner einen klaren Sündenbock für die Lage in der Ukraine und für den Ukraine-Krieg, basierend wohl auf einem platten Antiamerikanismus.
Feindbild-Konstruktion und die Etablierung von Sündenböcken sind häufige Bestandteile von Verschwörungstheorien und dienen der Komplexitätsreduktion.
Um das ganze Ukraine-Thema bis hin zum Ukraine-Krieg 2022 zu verstehen reicht es laut Glarner offenbar zu wissen: Die USA waren es.
Ersparen kann man sich dann die Auseinandersetzung mit den vielfältigen innenpolitischen. Aussenpolitischen und ökonomischen Einflüssen, in denen sich die Ukraine bewegte und immer noch bewegt.
Feindbild-Produktion, Sündenbock-Denken und Komplexitätsreduktion sind wesentliche Elemente in Verschwörungstheorien. Dazu kommt noch die Vorstellung eines geheimen Putschplans mit den USA als Strippenzieher. Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind hier nur Marionetten., die an den Fäden der US-Regierung zappeln. Ähnlich wie es auch bei Daniele Ganser geschieht, haben Ukrainerinnen und Ukrainer in Glarners Geschichte keinen Subjektcharakter. sie kommen nicht als eigenständig handelnde Personen vor, sind gekauft oder manipuliert von der US-Regierung. Ihnen wird abgesprochen, dass sie sich aus eigenem Antrieb von einem überaus korrupten Regierungschef befreien wollten.
Siehe dazu: Daniele Ganser zum Ukraine-Krieg
☛ Roger Köppel und Andreas Glarner sind nur die derzeit wohl bekanntesten Putin-affinen Politiker der SVP. Es stellt sich die Frage, woher der vergleichsweise hohe Anteil an Putin-affinen Personen in der SVP kommt. Einer der Gründe dürfte im Medienkonsum liegen, konsumieren doch SVPler mit grosser Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlich oft die Putin-affine «Weltwoche».
☛ Zu den vielfältigen Verbindungen und Gemeinsamkeiten zwischen Populismus und Verschwörungstheorien gibt es hier mehr Infos:
Verschwörungstheorien und Populismus