Vielleicht geht es zu weit, Donald Trump einen Faschisten zu nennen. Aber dass der Mann faschistische Methoden anwendet, lässt sich kaum bestreiten. Die Philosophin Susan Neiman spricht diesen Punkt an in einem Gespräch mit der «Deutschen Welle» (DW). Nachdem sie beschrieben hat, dass Trump nichts als sein materielles Eigeninteresse kennt, fährt sie fort:
«Schlimmer wiegen noch seine faschistischen Methoden: Verschwörungstheorien in die Welt zu setzen, die Presse als Lügenpresse zu dämonisieren, die Justiz zu seiner privaten Rechtsberatung zu missbrauchen, jede Form der Zusammenarbeit zu verteufeln, Polizisten gegen friedlich demonstrierende Menschen einzusetzen – all das sind faschistische Methoden. Dazu kommt: Der Mann hat Nazis ’sehr anständige Leute‘ genannt. Wenn das nicht böse ist, weiß ich nicht, was böse sein soll.»
Faschistische Methoden schrecken Trump-Fans nicht ab
Das Gespräch fand nach der US-Wahl statt, bei dem Donald Trump seine Wiederwahl deutlich verpasst hat. Susan Neiman zeigt sich aber überrascht, dass 73 Millionen Amerikaner, «die diese Trump-Show vier Jahre lang miterlebt haben, sich das noch einmal anschauen wollten….. Beinah hätte dieser Mann, den Obama nun einen Faschisten genannt hat, noch vier weitere Jahre bekommen. Die ganze Welt hätte darunter gelitten. Somit ist es gut ausgegangen, aber nicht gut genug.»
Auf die Frage, ob die Demokratie noch ein Zukunftsmodell sei, sagt Susan Neiman:
«Ja, aber nur unter einer Bedingung. Und ich weiß nicht, ob das realistisch ist – nämlich dass wir genügend Ressourcen in die Bildung stecken. Damit meine ich nicht nur Schulen und Universitäten, sondern vor allem freie öffentliche Medien. Die sind essentiell für eine Demokratie. Sonst können wir die Demokratie vergessen.»
Die US-amerikanische Philosophin Susan Neiman ist seit 2000 Leiterin des Einstein Forum in Potsdam, eine Stiftung öffentlichen Rechts und Ort des internationalen wissenschaftlichen Austauschs.
Quelle:
Susan Neiman: „Die US-Demokratie ist in Gefahr!“ (Deutsche Welle)
Anmerkungen:
☛ Das Gespräch wurde etwa zwei Wochen nach den Präsidentschaftswahlen veröffentlich. Donald Trump hat auch seither in hohem Mass Vorgehensweisen gezeigt, die als faschistische Methoden angesehen werden können. Dazu gehören die massive Untergrabung des Wahlvorgangs durch faktenfreie Behauptungen von gross angelegtem Wahlbetrug, der konstante Druck auf Wahlgremien, Stimmen zugunsten seines Gegners für ungültig zu erklären, und die Diffamierung von Gerichten, die seine lügnerischen Behauptungen und seine inhaltsleeren Anklagen zurückweisen.
Siehe dazu:
Wahlbetrug / Wahlmanipulation als Unterstellung und Verschwörungstheorie
☛ Susan Neimann fordert Investitionen in Bildung, um die Demokratie zu stabilisieren. Solche Bildungsinitiativen sind zweifellos nötig, aber mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht ausreichend. Ein grosses Problem ist heute, dass die Algorithmen der Social-Media-Konzerne extremistische Posts fördern und damit Radikalisierung und Polarisierung verstärken. Hier muss die Politik Einfluss nehmen und den Social-Media-Konzernen Regulierungen verpassen.
Siehe dazu:
Facebook fördert Verschwörungstheorien
YouTube als Propagandakanal für Verschwörungstheorien
☛ Jason Stanley, Philosophieprofessor an der Yale University, ist Experte für Faschismus. Er hat sich ausgiebig mit Trump befasst und von Anfang an faschistische Methoden beobachtet. Auf die Frage, ob Trump ein Faschist ist, sagt Stanley:
«Das ist die falsche Frage. Wenn er faschistische Taktiken benutzt und eine faschistische Politik verfolgt, ist es egal, was er im Herzen denkt.»
Und zur Frage, ob Trump so klug sei, dass er eine faschistische Politik entwerfen könne:
«Auch das ist die falsche Frage. Faschisten agieren oft eher wie Mafiabosse. Wie brillant musst du sein, um Mafiaboss zu sein? War Idi Amin ein Genie? Oder Al Capone? Trump versucht sich am Faschismus. Und er hat ziemlichen Erfolg.»
Quelle: Angriffe auf die US-Demokratie – Ist Trump ein Faschist? (Das Magazin, 18. 9. 2020, Abo)