Personen, die an Verschwörungstheorien glauben, weisen eine kognitive Verzerrung auf, eine Art optische Täuschung auf Denkebene, die auch oft bei Patientinnen und Patienten mit Schizophrenie beobachtet wird. Zu diesem Schluss kommen Forschende der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) und der Philipps-Universität Marburg. Sie führten eine Studie durch, die neue Einblicke in die kognitiven Grundlagen des Glaubens an Verschwörungstheorien bietet. Dazu erklärt Prof. Dr. rer. nat. Stephanie Mehl:
«Personen mit Wahnüberzeugungen weisen die Tendenz auf, voreilige Entscheidungen zu treffen, die meist nur auf wenigen Beweisen basieren. Das konnten wir auch bei den Probandinnen und Probanden feststellen, die eine höhere Zustimmung zu unterschiedlichen Verschwörungstheorien angegeben haben.»
Stephanie Mehl ist Professorin am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt UAS sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Marburg und dem Fachbereich Medizin der Philipps-Universität Marburg.
Nico Pytlik, Doktorand am Fachbereich Psychologie (AG Klinische Psychologie und Psychotherapie) der Philipps-Universität Marburg ergänzt:
«Bisher gab es keine Untersuchungen zu gemeinsamen kognitiven Grundlagen für den Glauben an Verschwörungstheorien und den Glauben an paranoide Ideen. Wir wollten jedoch herausfinden, ob ein mit Psychosen verbundener Denkfehler, das sogenannte voreilige Schlussfolgern, auch bei jenen Personen vorhanden ist, die stärker an Verschwörungstheorien glauben. Dabei stellten wir zudem fest, dass Menschen, die eine höhere Zustimmung zu Verschwörungstheorien aufwiesen, im Vergleich zu anderen Personen eher intuitiv und weniger analytisch denken. Sie entscheiden sehr schnell, ohne viele Informationen zu sammeln.»
Nico Pytlik hat die Studie zusammen mit Stephanie Mehl durchgeführt, gemeinsam mit dem Mathematiker Daniel Soll vom Fachbereich Medizin der Universität Marburg.
Schnelle Schlussfolgerungen erfasst
Insgesamt befragte das Forschungsteam 519 nicht-klinische Versuchspersonen.
Die Probandinnen und Probanden führten zuerst die sogenannte „Fischaufgabe“ durch, bei der festgestellt werden sollte, ob sie zu schnellen Schlussfolgerungen auf der Basis weniger Beweise tendieren.
„In der Aufgabe wurden den Teilnehmenden Bilder von zwei verschiedenen Seen gezeigt. Ihnen wurde gesagt, dass in See A 60 % orange Fische und 40 % blaue Fische leben, in See B hingegen 60 % blaue und 40 % orange Fische“, erläutert Stephanie Mehl. Danach wurden den Testpersonen nacheinander Bilder von Fischen gezeigt, die von einem dieser Seen gefangen wurden. Die Aufgabe bestand nun darin zu entscheiden, aus welchem See die jeweiligen Fische stammen; dabei hatten die Personen die Gelegenheit, bis zu zehn weitere Fische aus dem gleichen See gezeigt zu bekommen.
20 Verschwörungstheorien abgefragt
Im anschliessenden Teil der Studie gaben die Teilnehmenden an, wie stark sie an 20 verschiedene Verschwörungstheorien glaubten, darunter zum Beispiel an die Annahme, dass Flugzeugkondensationswege geheime „Chemtrail“-Experimente seien oder, dass das World Trade Center von innen in die Luft gesprengt worden sein könnte.
Danach absolvierten die Testpersonen eine Befragung, bei der sie angeben sollten, ob sie eher eine Präferenz für einen analytischen oder einen intuitiven Denkstil haben.
„Die Probandinnen und Probanden, die eher eine Tendenz für den Glauben an Verschwörungstheorien aufwiesen, sammelten weniger Informationen, um zu ihrer Entscheidung in der Fischaufgabe zu gelangen“, erklärt dazu Nico Pytlik.
Vor allem in den sozialen Netzwerken bewegen sich Menschen in Kreisen, die ihre eigenen Überzeugungen teilen, erläutern die Forschenden. Das könnte dazu führen, dass diese Menschen durch falsche Informationen beeinflusst werden.
Prof. Mehl empfiehlt:
«Insbesondere in belastenden, sehr emotionalen Situationen sind wir anfällig für kognitive Verzerrungen und weisen die Tendenz auf, eher schnelle Schlussfolgerungen zu treffen. Daher ist es wichtig, nach Informationen zu suchen, die auch anderen Ansichten entsprechen. Nur so können wir uns eine eigene Meinung bilden. Es ist wichtig, Freundinnen und Freunde zu haben, die uns widersprechen und unsere Schlussfolgerungen in Frage stellen. Zudem sollten wir so oft wie möglich wissenschaftliche Fakten berücksichtigen, um unsere Überzeugungen zu testen und uns zu informieren.»
Quelle:
Anmerkungen:
Die Studie liefert interessante Erkenntnisse. Sie scheint allerdings noch nicht in einer Fachzeitschrift publiziert worden zu sein. Jedenfalls fehlt in der Meldung ein entsprechender Hinweis. Das «voreilige Schlussfolgern» scheint also eine Gemeinsamkeit zu sein bei Menschen mit Schizophrenie und Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben.
Diese Erkenntnis sollte allerdings nicht dazu führen, Verschwörungstheoretiker und Verschwörungstheoretikerinnen nur aufgrund ihres Verschwörungsglaubens zu pathologisieren.