Sachsens Verfassungsschutz befürchtet eine Radikalisierung von Gegnern der Corona-Politik in der vierten Infektionswelle. Dabei spielen auch Verschwörungstheorien eine Rolle.
Protestierende aus der sogenannten bürgerlichen Mitte lassen dabei unverändert keinerlei Tendenzen erkennen, sich von Extremisten klar zu distanzieren. Laut Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz hat das Protestgeschehen gegenüber dem Vorjahr insgesamt zwar an Kraft verloren. Bei einzelnen lokalen Gruppen sei allerdings eine Radikalisierung zu beobachten.
Als über 1.000 Menschen in Leipzig gegen die Corona-Beschränkungen protestierten, kam es zu Rangeleien. Eine Frau drohte einem Polizisten mit dem Tod, ein Unbekannter sprühte einem Beamten Reizstoff unter den Helm und ein Journalist wurde niedergeschlagen.
Für die Sozialpsychologin Pia Lamberty sind das Beispiele dafür, dass die andauernde Pandemie Teile der Gesellschaft radikalisiert: „Wir haben ja schon in der ganzen Corona-Pandemie gesehen, dass es viel Gewaltpotenzial in der Szene gibt. Nicht nur im Rahmen von Demonstrationen, sondern auch durch Bedrohungen von Ärztinnen und Ärzten, Übergriffe im Kontext der Maskenpflicht. Und ich denke schon, dass da eine gewaltbereite Gruppierung da ist, die lange unterschätzt wurde in ihrer Gefährlichkeit.“
Das letzte Jahr hat auch neue Gruppen auf den Plan gerufen. Die Kleinstpartei „Freie Sachsen“ zum Beispiel. Sie wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft und ruft regelmäßig zu Protesten gegen die Corona-Regeln und zur Störung politischer Veranstaltungen auf.
Der innenpolitische Sprecher der sächsischen SPD-Fraktion, Albrecht Pallas, nennt weitere Beispiele: „Ganz konkret wären da der Dritte Weg etwa, der sehr häufig an Versammlungen der Querdenken-Demonstrationen in Leipzig und Dresden teilnahm. Da ist auch der Rechtsextremist Stefan Hartung von der NPD oder Pro Chemnitz, die ebenfalls Kundgebungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen organisiert haben.“
Verfassungsschutz kritisiert fehlende Distanzierung der bürgerlichen Mitte
Auf Anfrage von MDR AKTUELL teilt der Sächsische Verfassungsschutz mit:
„Hinzu kommt, dass Teilnehmer aus der sogenannten bürgerlichen Mitte unverändert keinerlei Tendenzen erkennen lassen, sich von Extremisten und deren verfassungsfeindlicher Agenda klar zu distanzieren. Bei einer sich verschärfenden Pandemie birgt diese gesellschaftliche ‚Inklusion‘ die Gefahr in sich, dass die Schar der Unzufriedenen größer wird, die meint, in Verschwörungstheorien und Umsturzfantasien eine Lösung für ihre Probleme zu finden.“
Die Behörde sieht eine besondere Herausforderung in anonymen Chatgruppen, was auch vom Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt bestätigt wird. Zwar seien die Proteste auf der Strasse zurückgegangen, doch beobachte man eine Radikalisierung einzelner lokaler Gruppen. Sie würden hauptsächlich im Internet typische Narrative von Reichbürgern und Rechtsextremen verbreiten und Eskalationen provozieren.
Angriffe auf Polizeibeamte verdoppelten sich
Raymond Walk sitzt für die CDU im Landtag, kümmert sich um innenpolitische Themen und schätzt die Lage für Thüringen ein:
„Wenn wir schauen, im letzten Jahr in Thüringen: 227 tätliche Angriffe auf Polizeibeamte, das ist eine Steigerung um die Hälfte. Was wir noch nie erlebt haben: Angriffe auf Rettungskräfte, auf Begleitpersonal der Deutschen Bundesbahn, auf Helfer in Impfzentren. Daran sieht man, wie aggressiv und aufgeheizt die Stimmung ist und das bereitet mir große Sorgen.“
Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena hat hingegen bezweifelt, dass man – wie Konfliktforscher Andreas Zick es tat – von einer fortschreitenden Radikalisierung sprechen kann. Die habe längst stattgefunden, konstatiert das Institut.
Quelle:
Radikalisierung von Impfgegnern: Verfassungsschutz befürchtet noch radikalere Corona-Proteste (MDR)
Ausserdem:
Verschwörungstheorien tragen stark zur Radikalisierung bei und fördern ein toxisches Misstrauen gegen staatliche Institutionen. Dass selbst Rettungskräfte angegriffen werden ist vollkommen absurd und besorgniserregend. Gut belegt ist auch der Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien.
Siehe zu diesen Themen auch:
Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien – ein enger Zusammenhang
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen
Radikalisierung von Extremisten durch Verschwörungsideologien