«Russophobie» taucht als Kernvorwurf in russischen Verschwörungstheorien und russischer Propaganda auf. Russland hat eine lange Tradition in Verschwörungstheorien, die sich um angebliche westliche Einkreisung drehen. Siehe dazu:
Verschwörungstheorien von westlicher Einkreisung haben in Russland Tradition
Verschwörungstheorien unterstellen den angeblichen Verschwörern konsequent bösartige Motive. Und eines dieser unterstellten Motive, die in russischen Verschwörungstheorien auftauchen, ist der Vorwurf der «Russophobie».
Worum handelt es sich bei diesem «Russophobie»-Vorwurf?
Die russische Propaganda behauptet, dass eine hysterische „Russophobie“ die Welt in ihren Bann gezogen hat. Im Grunde funktioniert dieses Desinformationsnarrativ sehr simpel: Jeder Mensch, der Russland oder seine Handlungen ablehnt oder kritisiert, tut dies aus irrationaler Angst und unbegründetem Hass auf alles Russische.
Der russische Präsident Wladimir Putin sagte in seiner Rede an die Nation vom 21. September 2022 anlässlich der Teilmobilisierung:
«Das Ziel dieses Westens ist es, unser Land zu schwächen, zu spalten und letztlich zu zerstören. Sie sagen bereits direkt, dass es ihnen 1991 gelungen sei, die Sowjetunion zu spalten, und dass es nun an der Zeit sei, dass Russland selbst in eine Vielzahl von Regionen und Gebieten zerfällt, die tödlich miteinander verfeindet sind. (…)
Sie haben die totale Russophobie zu ihrer Waffe gemacht und jahrzehntelang gezielt den Hass auf Russland geschürt, vor allem in der Ukraine, für die sie das Schicksal eines antirussischen Brückenkopfes vorgesehen haben. Und sie haben das ukrainische Volk zu Kanonenfutter gemacht und es in den Krieg mit unserem Land getrieben. (…)»
Putin präsentiert hier die russischen Verschwörungstheorien kombiniert mit dem «Russophobie»-Vorwurf in voller Blüte.
Putin’s verschwörungstheoretische Denkfigur: Die Ukraine als «Anti-Russland»
Der renommierte Osteuropa-Historiker Andreas Kappeler rückt allerdings Putin’s Denkfigur, wonach die heutige Ukraine ein «Anti-Russland» sei, hinter dem eine Verschwörung des Westens stecke, zurecht:
«Putins Vorstellung von der Ukraine als „Anti-Russland“ passt in sein bipolares Weltbild eines sowjetisch sozialisierten Geheimdienstlers. Er kann sich nicht vorstellen, dass die ukrainischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger von sich aus auf die Straße gingen und mit ihren Demonstrationen einen Machtwechsel erzwangen. Er will nicht glauben, dass es die demokratisch gewählte ukrainische Führung ist, die eine Annäherung an die EU und die NATO anstrebt und nicht die Westmächte. Tatsächlich haben sie der Ukraine auf diesem Wege seit der Unabhängigkeit viele Steine in den Weg gelegt. Außerdem denkt Putin – wie zahlreiche andere Politiker in West und Ost – in Großmachtkategorien: Entscheidend ist für ihn einzig die Auseinandersetzung zwischen den führenden Mächten des Westens und Russland, während die kleineren Länder nur Schachfiguren der „großen Politik“ sind….»
Wie Putin die «Russophobie» fördert….
Andreas Kappeler weist auch darauf hin, dass Putin selber mit seiner aggressiven Politik massgebend zur Ablehnung Russland in der Ukraine betrug:
«Putins Vorwurf, dass in der Ukraine in den letzten Jahren russophobe Tendenzen an Boden gewonnen hätten, ist meines Erachtens nicht unbegründet. Der Hauptgrund dafür, den Putin natürlich nicht nennt, ist die aggressive Politik Russlands. Diese reicht vom Druck, den Moskau im Herbst 2013 auf die ukrainische Regierung ausgeübt hatte, um die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens der Ukraine mit der EU in letzter Minute zu verhindern, über die Weigerung, den Machtwechsel in Kiew zu akzeptieren, bis zur militärischen Besetzung und völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und zur bewaffneten Unterstützung der Separatisten im Donbass. Der von Russland geschürte Krieg in der Südostukraine, der über 14 000 Todesopfer gefordert hat, fördert die Verbundenheit mit dem russischen Brudervolk nicht.»
Mit dem Vorwurf der «Russophobie» lenkt die Kreml-Führung von den eigenen Fehlern ab.
Die Ausweitung des «Russophobie»-Vorwurfs im Verlauf des Angriffs auf die Ukraine
Zu Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine richtete sich das Desinformationsnarrativ der „Russophobie“ vor allem gegen die Ukraine sowie jene EU-Mitgliedstaaten, die sich lautstark zum zunehmend aggressiven und kriegerischen Verhalten Russlands geäußert haben, darunter Polen, Tschechien sowie die baltischen Staaten.
Als aber die Reaktion der EU auf Russlands Krieg in der Ukraine immer schärfer wurde, begannen kremlfreundliche Desinformationskanäle damit, Anschuldigungen der „Russophobie“ wie ein Lauffeuer gegenüber ganz Europa in die Welt zu setzen. Das Schüren von Angst und Hass wie auch das Ausspielen der „Opferkarte“ wurden für das russische diplomatische Korps und die Regierungsbediensteten rasch zu einer zentralen Aufgabe. Was die Desinformationstaktik angeht, so sei dies ein recht gängiger Ansatz, schreibt die Plattform EUvsDisinfo: „Das Leugnen und Ablenken von berechtigter Kritik durch die Berufung auf falsche Ungerechtigkeiten. Wie in der Fabel „Der Hirtenjunge und der Wolf“, der aus Langeweile „Wolf“ schreit, bedeutet die Berufung auf „Russophobie“ als Reaktion auf jeden Schritt des Westens, um Russland von der Fortsetzung seiner Aggression abzubringen, natürlich, dass die Glaubwürdigkeit dieser Behauptungen des Kremls schnell schwindet.“
Um Aufmerksamkeit zu erreichen, muss der Vorwurf der „Russophobie“ deshalb immer schriller geäussert werden.
Quellen:
Putins Rede im Wortlaut (Tagesschau).
AUF LÜGEN BASIERENDE REALITÄT: 100 TAGE RUSSISCHER ANGRIFFSKRIEG IN DER UKRAINE(EUvsDisinfo).
Andreas Kappeler:
Revisionismus und Drohungen
Vladimir Putins Text zur Einheit von Russen und Ukrainern
(Zeitschrift OSTEUROPA, 71. Jg., 7/2021, S. 67–76, doi: 10.35998/oe-2021-0054).
Anmerkungen:
Siehe auch:
Russland: Verschwörungstheorien sind Teil der Propaganda
Russland: Verschwörungsideologien befeuern Angriff auf die Ukraine
Goldene Milliarde – antiwestliche Verschwörungstheorie in Russland
Putin regiert Russland schon lange mit Verschwörungstheorien
Putinismus – Ideologie und Verschwörungstheorien
Die «Entnazifizierung der Ukraine» als russische Verschwörungstheorie