Die angeordnete Teilmobilisierung in Russland verläuft miserabel und sehr chaotisch. Verschwörungstheorien bieten sich in solchen Fällen immer als Ausrede an. Der russische Duma-Abgeordneter und TV-Propagandist Andrej Medwedew hat nun die Schuldigen identifiziert: Ausländische Geheimdienste hätten die Wehrämter unterwandert. Deswegen laufe die Mobilisierung so scheisse und Untaugliche würden eingezogen, schreibt er auf seinem Telegram-Kanal.
Das schreibt der Journalist und frühere Moskau-Korrespondent Julian Hans (Screenshot unten) und verweist dabei auf eine Mitteilung des russischen Journalisten Alexey Kovalyov. Er leitet die investigative Abteilung des unterstützungswürdigen oppositionellen Online-Mediums Meduza.
Quelle:
https://twitter.com/juli_anh/status/1575743651270905857 (Julian Hans)
“Ausländische Geheimdienste” als bequeme Sündenböcke
Dass Geheimdienste verschiedenster Herkunft sich immer wieder in andere Länder eingemischt haben und dies auch heute noch tun, ist kein Geheimnis. Ja, die CIA hat im August 1953 im Iran mit der «Operation Ajax» den Sturz des Premierministers Mohammad Mossadegh unterstützt. Und das war bei weitem nicht die einzige Einmischung dieser Art.
Die CIA und andere Geheimdienste eignen sich aber auch gut zur Konstruktion von Sündenböcken und Verschwörungstheorien, aller Art mit denen von Fehlern und Versagen im eigenen Lager abgelenkt werden kann. Die Verschwörungstheorie, dass «ausländische Geheimdienste» die Wehrämter in Russland unterwandert hätten, ist von aussen gesehen einfach nur lächerlich. Das russische Regime überzieht allerdings das Land mit einem dichten Netz von absurden Verschwörungstheorien. Und wenn sich die Untertanen ein bestimmtes Mass an Verschwörungstheorien gewohnt sind, wird vielleicht auch solcher Unsinn als glaubhaft empfunden.
Siehe dazu:
Verschwörungstheorien von westlicher Einkreisung haben in Russland Tradition
Putin regiert Russland schon lange mit Verschwörungstheorien
Die «Entnazifizierung der Ukraine» als russische Verschwörungstheorie
Goldene Milliarde – antiwestliche Verschwörungstheorie in Russland
Historische Beispiele zum angeblichen Einfluss ausländischer Geheimdienste
Verschwörungstheorien rund um den angeblichen Einfluss ausländischer Geheimdienste gibt es seit langer Zeit in grosser Zahl. Hier ein paar Beispiele:
- Im Stalinismus dienten umfangreiche Verschwörungstheorien der Machterhaltung, der Legitimierung von Gewalt und der Konstruktion von Sündenböcken für staatliche Misserfolge und Probleme der Bevölkerung im Alltag. So wurde beispielsweise durch die sowjetische Parteizeitung „Prawda“ 1953 eine angebliche Verschwörung jüdischer Ärzte gegen den Kreml «enthüllt». Mindestens ein Dutzend Ärzte sollen sich das Ziel gesetzt haben, durch schädliche Behandlungsmethoden das Leben führender Persönlichkeiten der Sowjetunion zu verkürzen. Und selbstverständlich wurde behauptet, dass diese Verschwörer unter dem Einfluss der CIA standen.
- In der DDR entfesselte die SED-Führung in den 1950er-Jahren eine Kampagne zum Kampf gegen den „Ami-Käfer“. CIA-Flugzeuge sollten Kartoffelkäfer über der DDR abgeworfen haben, um die Ernte zu vernichten. Diese Verschwörungstheorie sollte von den Schwächen der eigenen Landwirtschaftspolitik ablenken.
- Im sandinistisch beherrschten Nicaragua wie auch im diktatorischen Russland wurden und werden Oppositionelle und NGO’s, die sich für Menschenrechte einsetzen, konsequent als ausländische Agenten diffamiert. Dieser vielleicht nicht in allen, aber in den allermeisten Fällen faktenfreie Verweise auf «ausländische Geheimdienste» ist eine so simple und billige Sündenbock-Strategie. Jedenfalls müssten solche Vorwürfe in jedem Fall mit Fakten belegt und in rechtsstaatlichen Verfahren beurteilt werden. Davon sind Nicaragua und Russland meilenweit entfernt.
Aktuelleres Beispiel: Der angebliche CIA-Putsch in der Ukraine
Die russische Propaganda streut ziemlich erfolgreich die Verschwörungstheorie vom angeblichen CIA-Putsch 2014 in der Ukraine. Aus der Perspektive des russischen Regimes kann es einfach nicht sein, dass die grosse Mehrheit der Ukrainerinnen und Ukraine frei sein will von russischer Kolonialisierung und Bevormundung, und einen Weg in Richtung der Europäischen Union bevorzugt. Auch die Auflehnung der Demonstrierenden auf dem Maidan-Platz gegen ein korruptes Regime war dem korrupten Kreml-Regime nicht geheuer.
Da ist es viel einfacher, faktenfrei von einem CIA-Putsch zu schwafeln. Und alle Leute im Westen, die in einem pauschalen, reflexhaften Antiamerikanismus verhaftet sind, plappern diese Propaganda-Story noch so gerne nach. Ein bekanntes Beispiel für diese Verbreiter von Kreml-Propaganda ist der «Truther» und selbsternannte Friedensforscher Daniele Ganser.
Siehe dazu:
Was Daniele Ganser mit Wladimir Putin gemeinsam hat
Daniele Ganser: Manipulation durch verzerrte Maidan-Darstellung
Daniele Ganser zum Ukraine-Krieg
Antiamerikanismus, russische Propaganda und die «wahren Hintergründe»
Twitter-Quelle: