Rechtsextreme Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker planten offenbar einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland. Nach einer landesweiten Razzia kündigte der Generalbundesanwalt weitere Durchsuchungen an.
Sie sollen einen Umsturz geplant und zu diesem Zweck auch mit Waffen trainiert haben: Die Bundesanwaltschaft hat 25 Personen aus der sogenannten Reichsbürgerszene verhaften lassen. Etwa 3.000 Polizeibeamte waren dazu in elf Bundesländern sowie in Österreich und Italien im Einsatz.
Die terroristische Vereinigung wollte die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen, die in Grundzügen bereits ausgearbeitet sei. Für den geplanten Umsturz haben die Reichsbürger auch Tote in Kauf genommen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte die Umsturz-Pläne einen „Abgrund terroristischer Bedrohung“. Nach dem Stand der Ermittlungen sei die aufgedeckte mutmaßliche terroristische Vereinigung „von gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien getrieben.“
Rädelsführer der Umsturz-Pläne verhaftet
Zu den Hauptverdächtigen der Umsturz-Vereinigung zählt laut Generalbundesanwalt Peter Frank der 71-jährige Heinrich XIII. Prinz Reuß, der bereits im Vorfeld als Gefährder eingestuft war. Der Abkömmling der einst hochadeligen Familie Reuß besitzt ein Jagdschloss in Ostthüringen und soll zusammen mit einem ehemaligen Fallschirmjäger-Kommandeur im Verdacht stehen, Rädelsführer der mutmaßlichen Terrorgruppe gewesen zu sein. Zu den Festgenommenen soll auch die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann. Sie sollte offenbar nach dem geplanten Umsturz als Justizministerin einer Putschistenregierung unter Führung von Heinrich XIII. Prinz Reuß eingesetzt werden.
Reichsbürger-Gruppe gründet sich auf Verschwörungstheorien
Die Reichsbürger-Gruppe soll sich spätestens Ende November 2021 um Heinrich XIII. Prinz Reuß gegründet haben. Die Mitglieder folgten bei ihren Umsturz-Plänen laut Generalbundesanwalt Frank einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen, darunter Narrative der Reichsbürgerszene sowie der QAnon-Ideologie. Sie seien der festen Überzeugung, dass Deutschland gegenwärtig von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines „tiefen Staats“, regiert werde. Der Begriff „tiefer Staat“ wird in Verschwörungstheorien verwendet. Hinter ihm versteckt sich die Idee, im Hintergrund von politischen Entscheidungen zögen geheime Mächte die Fäden.
Die Reichsbürger-Gruppe erwartete gemäss Mitteilung der Bundesanwaltschaft, dass eine „Allianz“ sie befreie. Die Mitglieder verstanden darunter einen technisch überlegenen Geheimbund von Regierungen, Militärs und Nachrichtendiensten verschiedener Staaten – einschließlich Russlands und den USA. Die Reichsbürger seien fest davon ausgegangen, dass sich Angehörige der ‚Allianz‘ schon in Deutschland aufhalten und deren Angriff auf den ‚Deep State‘ zeitnah bevorstehe.
Laut Informationen der Bundesanwaltschaft existierte innerhalb der mutmaßlichen terroristischen Vereinigung eine politische Führung, den „Rat“, und ein „militärischer Arm“, zu dem auch ehemalige Bundeswehrsoldaten gehörten. Deren Chef war der ehemalige Fallschirmjägerkommandeur Rüdiger von P.
Ein weiteres Mitglied der Reichsbürger-Gruppe, Michael F., hatte erst im April seine Stelle als Kriminalhauptkommissar in Hannover verloren. Nach Angaben des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), der ebenfalls an der Razzia beteiligt war, wurde auch ein Angehöriger des Kommandos Spezialkräfte verhaftet. Zudem werde gegen mehrere Reservisten ermittelt. In Italien wurde der ehemalige Bundeswehr-Oberst Maximilian Eder festgenommen. Der Oberst a.D. und ehemalige Nato-General hatte ein Panzergrenadierbataillon befehligt. Für den geplanten Umsturz arbeitete er offenbar eng mit dem als «Staatsoberhaupt» vorgesehenen Heinrich XIII. Prinz Reuss zusammen.
Kontakte zu Russland?
Unter den Unterstützern der Umsturz-Gruppe ist eine Russin, die Heinrich XIII. Prinz Reuß geholfen haben soll, Kontakt zu Vertretern der Russischen Föderation aufzunehmen. Laut der Mitteilung des Generalbundesanwalts gibt es allerdings keine Hinweise darauf, dass die Ansprechpartner auf das Ansinnen des Prinzen positiv reagiert hätten.
Die russische Botschaft in Berlin verneint Verbindungen zu dieser Szene. Russland spielte aber in den Plänen der Gruppe für die Zeit nach dem Umsturz eine wichtige Rolle. Vorgesehen war die Bildung einer möglicherweise militärischen Übergangregierung, die mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs über die neue staatliche Ordnung verhandeln sollte. Als zentralen Ansprechpartner sah die Reichsbürger-Gruppe Russland.
Nach dem Umsturz: „Systemwechsel auf allen Ebenen“ geplant
Die Gruppierung sah es nach Aussagen des Generalbundesanwalts als ihre Aufgabe an, verbleibende Institutionen und Repräsentanten des Staates zu bekämpfen und die Macht der neuen Ordnung abzusichern. Dabei sollte der „militärische Arm“ der Bewegung einen „Systemwechsel auf allen Ebenen“ erzwingen, also die Elemente des Rechtsstaats auch in Gemeinden, Kreisen und Kommunen beseitigen.
Der Generalbundesanwalt erklärte, die Vereinigung sollte in verschiedene Ressorts eingeteilt werden – „wie das Kabinett eines Staates“. Die Gruppe habe sich zum „Ziel gesetzt, die bestehende staatliche Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung, unter Einsatz von Gewalt und militärischen Mitteln zu beseitigen.“ Teil des Plans sei es darüber hinaus gewesen, „gewaltsam in den Deutschen Bundestag einzudringen“.
Quellen:
Razzia gegen „Reichsbürger“:
Terrorgruppe plante offenbar Sturm auf den Bundestag (t-online)
Zwischen Wahn und Umsturz: Wie gefährlich sind die „Reichsbürger“? (n-tv)
Razzien in Verschwörungsszene:
Verhafteter Reichsbürger sieht für Schweizer Kinder tödliche Gefahr (Tages-Anzeiger, Abo)
Anmerkungen:
☛ Auch wenn der Umsturz-Plan lächerlich erscheinen mag, weil er unrealistisch und zum Scheitern verurteilt war, zeigt dieses Beispiel, in welche Abgründe der Radikalisierung Verschwörungstheorien führen können. Sie dienen dann auch zur Legitimierung von Gewalt und werden zur Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat.
Siehe dazu:
Verschwörungstheorien als Katalysatoren von Gewalt
Warum sind Verschwörungstheorien eine Gefahr für demokratische Gesellschaften?
Verschwörungstheorien unterminieren den Rechtsstaat
☛ Auch wenn Russland Verbindungen zu dieser Umsturz-Gruppe verneint ist bemerkenswert, dass die Verschwörer sich Unterstützung vom russischen Regime erhofften. Die Verbreitung von Verschwörungstheorien ist Teil der russischen Propagandastrategie. Nicht erst seit der Corona-Pandemie gibt es eine enge Verzahnung zwischen der Kreml-Propaganda und Verschwörungstheoretikern verschiedenster Art. Diese Verbindung hat sich mit dem Ukraine-Krieg fortgesetzt.
Siehe dazu:
RT Deutsch (Russia today): Verschwörungstheorien als strategische Desinformation
Ukraine-Krieg: «Querdenker» fahren auf russische Propaganda ab
Steigende Zustimmung für prorussische Verschwörungstheorien
Corona-Skeptiker verbreiten fleissig Kreml-Propaganda
Compact-Magazin: Verschwörungstheorien, Rechtsradikalismus, Kremlpropaganda
Propagandamedien aus Russland verbreiten weiterhin Verschwörungstheorien zu Covid-19
Russlands Einfluss auf deutschsprachige Verschwörungsgläubige
Ukraine-Krieg: Verschwörungsgläubige sehen die Schuld seltener bei Russland
Propagandamedien aus Russland fluten Westen mit Corona-Falschmeldungen
Umfrage erfasst Verschwörungstheorien zum Ukraine-Krieg
Kreml streut Verschwörungstheorien zum Ukraine-Krieg
„Querdenker-Szene“ im Ukraine-Krieg: Weitgehend Putin-gläubig
Verschwörungstheorien zum Krieg in der Ukraine
☛ Mehr zur Reichsbürger-Szene und zur Reichsbürger-Ideologie:
Reichsbürger, Reichsbürgerbewegung (Beitrag in der Enzyklopädie)
Reichsbürger-Unsinn: Daniele Gansers Behauptung, Deutschland sei ein besetztes Land
Feindbilder in der Reichsbürger-Szene
BRD GmbH – ein Phantasiekonstrukt der Reichsbürgerbewegung
Reichsbürger – an welchen Handlungen erkennt man sie?
Reichsbürger profitieren von Corona-Krise