Nicht zuletzt unter Mithilfe zahlreicher Verschwörungstheorien haben sich die selbsternannten «Querdenker» zunehmend abgekapselt. In ihren Telegram-Filterblasen häufen sich inzwischen Auswanderungspläne von Impfgegnern. Offenbar zieht es viele nach Paraguay.
Tobias Meilicke hört immer öfter von Deutschen, die eine Auswanderung ins mehr als 10.000 Kilometer entfernte Paraguay planen. Der Politologe und Soziologe leitet die Beratungsstelle „Veritas“, die sich an Betroffene von Verschwörungserzählungen richtet. Er sagt:
„Bei uns melden sich vor allem Familienangehörige. Verschwörungserzählungen rund um das Impfen haben sich in letzter Zeit merklich gehäuft, damit verbunden auch Berichte über Auswanderungspläne im nahen Umfeld.“
Seit in Deutschland vermehrt über eine allgemeine Impfpflicht diskutiert werde und sie in Österreich schon beschlossen wurde, sei das Thema Auswanderung noch grösser geworden, erklärt Meilicke. In Familien können solche Auswanderungspläne zu Konflikten führen und zu Diskussionen um ganz praktische Fragen – organisatorisch, finanziell.
Das kann soweit gehen, dass nahen Angehörigen mit Suizid gedroht wird, sollten sie sich impfen lassen. „Sie bekommen dann zu hören: ‚Wenn du dich impfen lässt und daran verstirbst, macht das Leben für mich keinen Sinn mehr‘, schildert Meilicke. Im Mittelpunkt stehe häufig auch Angst um die eigenen Kinder, die es zu schützen gelte.
Warum ausgerechnet Auswanderungspläne nach Paraguay?
Paraguay ist bei Impfgegnern gerade Destination Nummer 1. In vielen Telegram-Gruppen wird das Land als Ziel für deutsche Auswanderer empfohlen, die Deutschland wegen seiner Corona-Politik den Rücken kehren wollen.
Es gebe in Paraguay nicht so viele Corona-Massnahmen wie in Deutschland, sagt Meilicke, und ergänzt: «Damit sehen die Menschen eine besondere Freiheit erfüllt.“ Auch werde in Paraguay keine Impfpflicht debattiert – das sei ein Signal an manche, ihr Leben dort in Sicherheit zu wissen. Insbesondere Erwin Annau, ein ehemaliger Scientologe und bekennender Querdenker, macht Werbung für die Auswanderung nach Paraguay.
Wie viel Freiheit die Destination Paraguay wirklich bietet, ist mehr als fraglich.
Politikwissenschaftler Meilicke hält es für wahrscheinlich, dass die deutschen Auswanderer in Paraguay abgegrenzte Communities bilden, die stark um Verschwörungserzählungen kreisen: „Sie teilen dieselben Ideen und bestätigen sich gegenseitig.“.
Ein Distanzierungsprozess von diesen Ideen könne dann vor allem der nächsten Generation, also den mitgenommenen Kindern, schwerfallen. Und wenn Auswanderer ihr Leben in Deutschland aufs Spiel gesetzt und damit sehr viel in eine Idee investiert hätten, falle die Distanzierung von der Community schwer: „Wenn man dann merkt, dass man sich verrannt hat, folgen oft Scham- und Schuldgefühle“, erklärt der Experte.
Coaching von Angehörigen
Meilicke versucht in der Beratung, Angehörige von Auswanderungswilligen zu coachen, vor allem in Bezug auf das Setzen von Grenzen.
„Es geht darum, beispielsweise zu formulieren: ‚Ich liebe dich, ich möchte Kontakt mit dir und will nicht, dass unsere Beziehung zerbricht, aber ich werde nicht mit dir ins Ausland gehen‘ – und das ohne Abwertung und Angriff.“
Der Kulturanthropologe Prof. Dr. Eberhard Wolff hält zwar die Vorstellung, in Paraguay „freier zu leben“ für eine Utopie der Auswanderungswilligen. Er sagt jedoch auch: „Die Absicherung gegen einen grossen wirtschaftlichen Zusammenbruch spielt bei manchen sicherlich auch mit. Man sollte vorsichtig sein, das gleich wieder als Verschwörungsgerede zu skandalisieren. Das ist ein komplexes Phänomen mit vielen Abstufungen.“
Er warn darüber hinaus davor, über impfskeptische Menschen nur als „Problem“ zu sprechen. „Impfskeptiker und Impfskeptikerinnen sind eine überaus vielfältige Gruppe, die meist in einen Topf geworfen werden. Wenn Menschen so offen als Problemgruppe ausgegrenzt werden, wundert es mich nicht, dass sie versuchen, sich zusammenzuschliessen.“
Quelle:
Warum es viele Impfgegner jetzt nach Paraguay zieht: Inbegriff der Freiheit? (gmx.ch)
Ausserdem:
☛ Paraguay ist nicht der einzige «Sehnsuchtsort» für Auswanderungspläne von Impfgegnern. Auch Tansania ist im Gespräch.
Dorthin hat sich der HNO-Arzt Bodo Schiffmann verzogen, eine dubiose Galionsfigur der «Querdenker» und ein intensiver Verbreiter von Verschwörungstheorien.
☛ Siehe auch: Corona-Verschwörungstheorien
☛ Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen veritas.