Was unterscheidet die QAnon-Verschwörungsideologie von anderen, die weit weniger erfolgreich sind? Um das zu verstehen ist es nützlich, die Entstehungsgeschichte von QAnon zu kennen:
Im Oktober 2017 publizierte ein anonymer Nutzer auf dem Internetforum „4chan“ vermeintlich exklusive Informationen. Hillary Clinton werde am darauffolgenden Montag zwischen 7.45 und 8.30 Uhr morgens verhaftet, behauptete er. Mittags werde ihr Reisepass gesperrt, für den Fall, dass sie fliehen wolle. An die Leser gerichtet schrieb er: „Erwartet massive Ausschreitungen und die Flucht von anderen.“ Und er kündigte an, dass Bundespolizisten der Vereinigten Staaten die Operation durchführen würden und dass die Nationalgarde aktiviert werde.
Diese Voraussagen traten nicht ein. Aber in den folgenden Tagen hinterließ der Nutzer weitere Botschaften, die den Eindruck erweckten, als habe er Einblick in Vorgänge, die den meisten Bürgern verborgen bleiben. Er präsentierte sich als Whistleblower, direkt aus dem Machtapparat.
Die QAnon-Verschwörungsideologie – eine virtuelle Schnitzeljagd
Der anonyme Nutzer nannte sich „Q clearance patriot“. Das sollte suggerieren, dass er die Sicherheitseinstufung „Q clearance“ besitzt, mit der man Zugang zu streng geheimen Informationen über Atomwaffen hat. Wer sich hinter Q verbirgt, darüber gibt es unter seinen Anhängern rege Spekulationen.
Manche glauben, Q stehe für sich allein. Andere sind überzeugt, dass sich hinter Q zunächst eine Person verbarg, die sich nach einer gewissen Zeit zurückzog. Nun setzen andere ihre Arbeit fort. Beweise für all das eistieren nicht. Es könnte aber auch sein, dass besonders phantasiebegabte Nutzer sich auf 4chan einen Spaß erlaubten, der sich verselbständigte.
Die Spekulation, wer Q sei, stellt wohl einen Reiz der QAnon-Verschwörungsideologie aus.
Seit dem Oktober 2017 hat Q gut fünftausend Beiträge in den Tiefen des Netzes deponiert. Sie stecken voller Anspielungen und lassen Raum für Spekulationen. Sobald Q eine Nachricht veröffentlicht, rätseln seine Anhänger nächtelang in privaten Facebook-Gruppen und Chats über deren Bedeutung. QAnon ist daher nicht einfach nur eine Verschwörungstheorie, sondern ebenso eine virtuelle Schnitzeljagd. Jeder kann daran teilnehmen, jeder den nächsten Hinweis finden. Aber die Fans sind überzeugt, dass sie nur gemeinsam ans Ziel gelangen. Dadurch steckt QAnon immer mehr Menschen an.
QAnon als Dach für andere Verschwörungstheorien
Hinzu kommt, dass sich die QAnon-Verschwörungsideologie laufend verändert. Sie nimmt andere Verschwörungstheorien in sich auf. Unter dem Dach von QAnon treffen sich Leute, die daran glauben, dass 9/11 von der amerikanischen Regierung geplant wurde, dass John F. Kennedy junior noch lebt oder dass jüdische Banker für das Übel der Welt verantwortlich seien. QAnon bietet für jeden Platz.
Für einige Anhängerinnen und Anhänger ist QAnon inzwischen sogar so etwas wie ein religiöses Erweckungserlebnis. Im Film „Out of Shadows“ erzählt der Stuntman Mike Smith, er habe durch QAnon zu Gott gefunden. Ihm sei klargeworden, dass es das Böse gebe, dass Satanisten existierten, die das Blut von Kindern tränken. Die QAnon-Anhänger wähnen sich „in einem dramatischen verdeckten Krieg biblischen Ausmaßes, wortwörtlich der Kampf zwischen Gut und Böse“, wie ein Video der Bewegung verkündet. In diesem Krieg biblischen Ausmaßes ist Donald Trump der Heiland. Warum ausgerechnet er nicht zur korrupten Elite zählen soll, darauf hat QAnon keine Antwort. Klar ist für die QAnon-Bewegung jedoch, dass sie die Menschheit retten werden – und dass Trump ihr Anführer ist.
Quelle:
CORONA UND QANON: Der Siegeszug einer Verschwörungstheorie (FAZ, Abo)
Die QAnon-Verschwörungsideologie ist ein hochgradig absurdes Konstrukt und es lässt an der menschlichen Vernunft zweifeln, dass eine zunehmende Zahl von Menschen darauf hereinfallen. Mit der Vorstellung vom endzeitlichen Kampf zwischen Gut und Böse transportiert QAnon tatsächliche religiöse Inhalte. Dass ausgerechnet Donald Trump auf der Seite der Guten stehen soll, zeigt das Mass der Verblendung. Auch der blinde Glaube an obskure Äusserungen einer anonymen Quelle ist nur schwer nachvollziehbar. Und mit dem Fabulieren über satanistische Blutrituale nimmt die QAnon-Verschwörungsideologie alte antisemitische Inhalte auf. QAnon scheint sich zu einer modernen Form des Hexenglaubens zu entwickeln. Leider merken die Anhängerinnen und Anhänger nicht, dass sie politisch instrumentalisiert werden.
Siehe auch: QAnon