In Brandenburg steigt die politisch motivierte Kriminalität an. Mitverantwortlich ist dafür auch die Radikalisierung im Kontext der Corona-Maßnahmen. Das Internet spielt bei dieser Entwicklung eine wichtige Rolle.
Die Brandenburger Polizei sieht sich vermehrt mit Straftätern im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien konfrontiert.
Im Gegensatz zu anderen Bereichen der Kriminalität, in denen die Fallzahlen sinken, gab es bei der politisch motivierten Kriminalität in den vergangenen zehn Jahren eine Steigerung von über 60 Prozent. Dies teilte das Landespolizeipräsidium in Potsdam mit.
Im Jahr 2011 waren es noch 1410 Fälle, im Jahr 2020 insgesamt schon 2250 Fälle registrierter politisch motivierter Kriminalität. Für das laufende Jahr wird insgesamt ein weiterer Anstieg erwartet.
Eine grosse Rolle spielen im aktuellen Jahr insbesondere Straftaten im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien, die keiner politischen oder religiösen Richtung zuzuordnen sind.
Im Jahr 2020 ging die Zahl der nicht zuordenbaren Fälle noch um 189 auf 290 zurück. Nun zeichne sich eine Zunahme ab. Konkrete Zahlen zum gegenwärtigen Zwischenstand wurden allerdings noch nicht genannt.
Zentrale Rolle der «Reichsbürger» im Bereich politischer Kriminalität
Vor diesem Hintergrund haben Fachleute unter dem Titel „Extremismus im Cyberraum – Radikalisierung und Verschwörungstheorien“ auf Einladung des Landeskriminalamts (LKA) bei einer Strategiekonferenz in Potsdam über gegenwärtige Entwicklungen in der politisch motivierten Kriminalität diskutiert.
Die staatlichen Covid-19-Schutzmaßnahmen seien ein polarisierendes Thema in der öffentlichen Wahrnehmung, sagte Olaf Berlin, der Leiter der Abteilung Zentraler Staatsschutz/Terrorismusbekämpfung im Brandenburger Landeskriminalamt.
Er erklärt, dass Akteure der rechten Szene versuchten, diesen öffentlichen Resonanzraum zu erschließen und auf diesem Weg Anhänger zu gewinnen. Die Corona-Pandemie spiele insbesondere auch in der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ weiterhin eine zentrale Rolle.
Psychologierat Jan-Gerrit Keil vom LKA Brandenburg wies darauf hin, dass nicht jeder Verschwörungsgläubige auch Reichsbürger sei. Jeder Reichsbürger sei jedoch verschwörungsgläubig.
Unter dem Eindruck der Corona-Pandemie hat sich der langlebige Mythos der Impfverschwörung wieder stärker verbreitet. Daran wirken auch die QAnon-Verschwörungserzählung und die Reichsbürger-Szene mit.
Corona-Maßnahmen würden als schwerwiegende Grundrechtseingriffe bis hin zur vermeintlichen Einführung einer „Corona-Diktatur“ diffamiert, stellt das LKA fest.
Mobilisierung und Propaganda im Internet
„Eine Mobilisierung für Aktionen außerhalb des Internets findet jedoch kaum noch statt“, stellt Olaf Berlin fest. Die bedeutendsten Aktivitäten beschränken sich auf die Verbreitung von Propaganda und Desinformation im Internet, hauptsächlich über soziale Medien oder auch eigene Internetpräsenzen.
Zugleich würden legitime Proteste und Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen immer wieder instrumentalisiert und Eskalationen provoziert, erläuterte Axel Heidrich, Leiter des Referats Politischer Extremismus im Innenministerium. Er stellt fest: „Das gezielte Verschieben der Grenzen zwischen Extremismus und freier Meinungsäußerung unter Ausnutzung der Fragen, Sorgen und Ängste der Menschen in unserem Land zeigt einmal mehr, dass aktuell vom entgrenzten Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie ausgeht.“
Dabei setzten die Akteure auf geschichtsrevisionistische Vergleiche, um die freiheitliche demokratische Grundordnung zu delegitimieren und zum „Widerstand“ gegen die vermeintliche „Diktatur“ aufzurufen. Darüber hinaus erklärten sie führende Politikerinnen und Politiker demokratischer Parteien zu Feindbildern des „deutschen Volkes“.
Unterschied zwischen legitimer Kritik und dem Verbreiten von extremistischem Gedankengut
„Es gibt einen Unterschied zwischen legitimer Kritik und dem Verbreiten von extremistischem Gedankengut“, sagte Innenstaatssekretär Uwe Schüler und betonte, dass die freie Meinungsäußerung ein hohes Gut sei. Falschaussagen, die zu kriminellen Handlungen ermuntern, könnten jedoch nicht toleriert werden.
Brandenburgs Polizeipräsident Oliver Stepien kündigte an, dass die Brandenburger Polizei Verschwörungstheorien, die eine Basis für neue Formen der Radikalisierung schaffen, entschieden entgegentreten werde.
Der Cyberraum kenne keine geographischen Landesgrenzen und das Internet und Messengerdienste spielten als Täterplattform eine immer größere Rolle, erklärte Stepien.
Das Bundesland Brandenburg habe deshalb seine Anstrengungen im Kampf gegen politisch motivierte Kriminalität weiter ausgebaut. Erwähnt wurde in diesem Zusammenhang, dass die Überprüfung von potenziellen Gefährdern intensiviert wurde. Auch wurde eine Ansprechstelle für Mandatsträger geschaffen, an die sich diese bei Bedrohungen im Internet wenden können.
Geschichtsrevisionismus als Basis für politische Kriminalität
Über revisionistische Geschichtsleugnung jenseits des Corona-Kontextes und der Nutzung des Internets sprach der ehemalige Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, Günter Morsch.
Rechtsextremistische und antisemitische Gewalt habe sich nach der Deutschen Einheit rasch auch gegen die Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Opfer gerichtet.
Seit dem Ende der 90er Jahre seien Morddrohungen gegen den Leiter von Sachsenhausen im Internet kursiert. Sie hätten schließlich Eingang in die sogenannten Todeslisten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gefunden.
Neue Beratungsstelle für Angehörige von Verschwörungstheoretikern
Das Demos-Institut für Gemeinwesenberatung hat in Potsdam eine Beratungsstelle eingerichtet für Menschen, die unter Verschwörungserzählern in der Familie oder im Freundeskreis leiden. Bisher war die Beratungsstelle eher in der Beratung für Angehörige von Rechtsextremisten aktiv. Gerade in einer Krise wie der Pandemie seien Verschwörungserzählungen für viele Menschen verlockend, sagt Institutsleiter Markus Klein.
Quelle:
Politisch motivierte Kriminalität Aufgestachelt durch Verschwörungsmythen (pnn)
Anmerkungen zum Thema politische Kriminalität:
☛ Nachahmenswert für andere Regionen ist die in Brandenburg eingeführte Anlaufstelle für bedrohte Mandatsträger. Ortsvorsteher, Abgeordnete und andere staatliche Funktionäre, die von Extremisten bedroht werden, brauchen und verdienen maximale Unterstützung: Polizeilich, juristisch und zivilgesellschaftlich. Drohungen gegen solche Personen sind eine Form der politischen Kriminalität, die hochgradig antidemokratisch ist. Hier muss die wehrhafte Demokratie Stärke zeigen.
☛ Ebenso braucht es den Ausbau von Beratungsstellen für Angehörige von Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker. Potsdam macht hier einen begrüssenswerten Schritt.