Die Midterms in den USA zeigen, dass Verschwörungstheorien, die sich einmal etabliert haben, zum Selbstläufer werden. Sie setzen sich fort bei jedem neuen Thema.
Das illustriert natürlich besonders gut Donald Trump. Er kann nicht aufhören, die Verschwörungstheorie vom Wahlbetrug zu replizieren. Mit den konkreten Umständen der jeweiligen Wahl hat das kaum mehr etwas zu tun.
So schreibt Donald Trump auf seinen sozialen Kanälen auch zu den midterms von «Betrug» und viele Republikaner machen es ihm nach. Auf seiner Plattform Truth Social schrieb der Ex-Präsident: „Same thing is happening with Voter Fraud as happened in 2020???“
Technische Schwierigkeiten als “Beweis” für Wahlbetrug bei den midterms
In einer Reihe von Posts beschwerte sich Trump über verschiedene technische Schwierigkeiten in einigen Bundesstaaten. Laut Faktenchecks von CNN gibt es allerdings keine Beweise dafür, dass es sich bei den Problemen um vorsätzliches Fehlverhalten handelt, geschweige denn um „Wählerbetrug“.
Der Republikaner Charlie Kirk schürt ebenfalls Verschwörungsgerüchte und twitterte: „Mindestens 2 Stunden Wartezeit in den meisten Wahllokalen in Maricopa. Die Demokraten, die hier die Wahlen leiten, wussten, dass dies passieren würde. Verkehrsstau absichtlich. LASST SIE 2020 NICHT WIEDER MACHEN. WARTET IN DER SCHLANGE UND WÄHLT.“
De facto werden die Wahlen in Maricopa County jedoch vom Republikaner Stephen Richer geleitet.
Gemäss dem Warteschlangen-Anzeiger, den es online gibt, gab es zahlreiche Wahllokale, die eine Wartezeit von unter fünf Minuten hatten. Und den Wählerinnen und Wählern im Bezirk ist es erlaubt, ihre Stimme abzugeben wo sie wollen. Aber Realität spielt für Demagogen wie Charlie Kirk keine Rolle, wenn es darum geht, Verschwörungsstimmung zu schüren.
Tatsächlich traten in 20 Prozent der Wahllokale im County technische Probleme auf. Richer gab dazu eine Erklärung ab und sagte, das Problem sei erkannt und würde gelöst. Er versprach, dass „jede legale Stimme ausgezählt wird.“
Die Erfinder von Verschwörungstheorien zeigen sich kreativ und bieten zu den midterms auch neue Varianten an. Eine davon dreht sich um Wlan bzw. WiFi. Unterstellt wird, dass Wahlmaschinen mit dem Internet verbunden sind und Stimmen damit aus der Ferne geändert werden können. Verschwörungstheoretiker forderten Wählenden auf, in und außerhalb der Wahllokale nach Wlan-Verbindungen zu suchen. „Machen Sie einen Screenshot, um Unregelmäßigkeiten zur Untersuchung zu melden“, empfahl ein Tweet.
Gemäss CNN sind die Wahlmaschinen in der Regel nicht mit dem Internet verbunden – zumindest nicht während der laufenden Wahl. Wlan wird aber in den meisten Wahllokalen genutzt, um auf elektronische Wählerverzeichnisse zuzugreifen. Vereinzelt traten allerdings technische Probleme bei Laptops auf – sie funktionierten nicht.
«Falsch- und Desinformation» rund um die midterms
Ex-Präsident Donald Trump und andere Republikaner haben sich jedenfalls geringfügige Unregelmässigkeiten bei den Kongresswahlen zunutze gemacht, um Zweifel an Siegen der Demokraten zu schüren. So wurde beispielsweise einigen Wählern im US-Staat Michigan fälschlicherweise mitgeteilt, sie hätten schon abgestimmt. Doch einige republikanische Kandidaten versuchten das so darzustellen, als ob es Teil eines versuchten Wahlbetrugs sei (siehe Anmerkung 1).
Die Direktorin für Wahlen der unabhängigen Gruppe Common Cause, Sylvia Albert, stellt dazu fest:
«Das Beunruhigendste ist die Art und Weise, wie diese einzelnen Vorkommnisse genutzt werden, um Falsch- und Desinformation und Lügen zur Wahl zu verbreiten, um zu versuchen, das Vertrauen der Menschen und den Glauben an die Wahl zu untergraben.»
Und der Direktor für Wahlen am Brennan Center for Justice, Lawrence Norden, erklärt:
«Bei jeder landesweiten Wahl hat man irgendwo solche Probleme. Die Tatsache, dass wir am Tag danach darüber reden, verdeutlicht die Tatsache, dass es einen organisierten Versuch gab, solche Dinge als Waffe zu benutzen.» (siehe Anmerkung 2).
Quellen:
Faktencheck: Trump schreit wieder «Betrug» (Puls24)
US-Midterms:
Wie aus kleinen Wahlpannen eine Verschwörungstheorie wird (bluewin)
Anmerkungen:
☛ (1) Technische Pannen werden von Verschwörungsgläubige als bösartige Versuche gedeutet, die Resultate der midterms zu fälschen. Die reflexhafte Unterstellung von Bosheit ist charakteristisch für viele Verschwörungstheorien. Siehe dazu:
Hanlon’s Rasiermesser / Hanlon’s Razor
☛ (2) Die Suche nach Anomalien, die dann verschwörungstheoretisch interpretiert werden, ist ebenfalls ein häufiges Verhalten von Verschwörungsgläubigen. Siehe dazu:
Anomalien suchen / anomaly hunting
☛ Die Verschwörungstheorien rund um die midterms sind ein weiteres Beispiel für die Gefährlichkeit von politischen Verschwörungstheorien. Auch eine «Elvis-lebt»-Verschwörungstheorie kann schädlich wirken, weil sie zur Kultivierung einer generellen Verschwörungsmentalität beiträgt. Beschäftigt sich jemand «in seinem Kämmerchen» mit dieser Elvis-Geschichte, hält sich der Schaden aber wohl in Grenzen. Politische Verschwörungstheorien wie die Verschwörungstheorie vom Wahlbetrug sind aber brandgefährlich, weil sie das demokratische System direkt unterminieren.
Kontinuierliche Bewirtschafter von politischen Verschwörungstheorien – in der Schweiz zum Beispiel Roger Köppel mit seiner WELTWOCHE – sind deshalb politische Brandstifter und verfolgen eine politische Agenda der Polarisierung, Spaltung und Zersetzung. Politische Verschwörungstheorien müssen konsequent und frühzeitig bekämpft werden. Sie haben in der Geschichte der Menschheit immer wieder zu grossen Katastrophen geführt, zum Beispiel im Stalinismus und im Nationalsozialismus mit seiner Obsession von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung. Ein neueres Beispiel für die zersetzende Wirkung politischer Verschwörungstheorien ist die Verschwörungstheorie um den Flugzeugabsturz von Smolensk. Sie hat zur starken Polarisierung in Polen beigetragen.