Digital-Expertin Ingrid Brodnig erklärt im Interview mit der «Was jetzt-Redaktion», wie Lehrende ihre Schüler/innen gegen Verschwörungstheorien immunisieren – mit Faktenchecks, Warnsignalen und den Chips von Bill Gates.
Hier ein paar Kernpunkte zusammengefasst:
☛ Wann wird aus einer Spekulation eine Verschwörungstheorie?
Dazu braucht es die Idee eines geheimen Zusammenschlusses von dunklen Akteuren, die zulasten der breiten Bevölkerung Böswilliges planen. Ingrid Brodnig unterscheidet davon Falschmeldungen, womöglich auch problematisch sind, aber nicht das Bild einer Verschwörung zeigen.
☛ Vor welchen großen Corona-Verschwörungen soll man Schüler/innen aktuell warnen?
Derzeit werden stark Schuldige gesucht. Insbesondere über Microsoft-Milliardär Bill Gates wird viel Unsinn spekuliert. Zum Bespiel, dass er die Bevölkerung reduzieren und den Menschen Mikrochips einpflanzen wolle.
Andere Verschwörungstheorien iunterstellen, dass COVID-19 eine Folge von Handystrahlung des neuen 5G-Mobilfunkstandards sei. Gegen diese Argumentation spricht unter anderem, dass auch in Gegenden ohne 5G-Netz Menschen an COVID-19 erkranken.
☛ Welche Gefahren gehen von solchen Verschwörungstheorien aus?
Eine Gefahr besteht darin, dass Menschen das Virus und seine gesundheitlichen Risiken falsch einschätzen, wenn sie etwa seine Existenz leugnen. Eine weitere Gefahr ist, dass Unschuldige aus Wut beleidigt und bedroht werden – oder dass wie in Großbritannien sogar Handymasten angezündet werden.
Wirklich gefährlich werden solche Verschwörungstheorien laut Ingrid Brodnig jedoch, wenn Feindbilder und Gewaltbereitschaft genährt werden. Brodnig sagt dazu: «Studien deuten darauf hin, dass Menschen mit einer Mentalität zu Verschwörungen eher undemokratische Maßnahmen akzeptieren und auch Gewalt als Verteidigungshaltung legitimieren würden.»
☛ Mit welchen Methoden können Lehrende ihren Schülern und Schülerinnen beibringen, Falschmeldungen und Verschwörungstheorien zu entlarven?
Als simpelste Variante empfiehlt Brodnig, einen Faktencheck zum Thema im Internet zu suchen. Man googlet zum Beispiel die Worte: Bill Gates + Impfung + Bevölkerungsreduktion + Faktencheck. So findet man aufklärende Texte darüber, dass Bill Gates sich mit seinen karitativen Projekten gegen Armut in Entwicklungsländern einsetzt. Diese Armut könne vermindert werden, wenn Familien weniger Kinder bekommen müssten, wenn alle ihre Kinder überleben würden, weil sie geimpft werden. Das heisst jedoch nicht, dass Bill Gates sagt, Menschen gehören umgebracht.
☛ Welche seriösen Faktencheck-Webseiten empfiehlt Ingrid Brodnig Lehrern und Lehrerinnen?
In Österreich empfiehlt die Digitalexpertin Mimikama.at, in Deutschland correctiv.org, in den USA Snopes.com, in Europa die Agence France Press (AFP), die Deutsche Presseagentur (DPA) und in Österreich den Faktencheck der Österreichischen Presseagentur (APA). Wer auf diesen Seiten landet, kann davon ausgehen, dass sie sehr seriös vorgehen, weil sie in der Regel erklären, wie sie zum Resultat gekommen sind.
☛ Weshalb sind diese Faktencheck-Seiten seriös?
Ingrid Brodnig weist dazu auf einen Grundpfeiler des Faktenchecks hin: seine Transparenz: Dass ich nachvollziehbar mache, wie ich zum Ergebnis meiner Recherchen gekommen bin: «Sie schlüsseln Wort für Wort auf, in welchen Originalquellen Bill Gates was gesagt hat und wie ein Zitat aus einem Video irreführend weiterentwickelt wurde.»
Viele dieser Faktenchecker seien große Redaktionen mit gutem Ruf. Es mache einen Unterschied, ob ein Medium mit vielen angestellten Journalistinnen und Journalisten jahrelang immer wieder hochwertige, eigenständige Recherchen liefere. Oder ob man auf einer Webseite ohne Impressum landet, wo weder erklärt wird, wer hier arbeitet oder wo eine Zahl herkommt.
Ein Warnsignal sieht Brodnig auch darin, wenn eine Quelle unbekannt ist oder sie schon etliche Male widerlegt worden ist und renommierte Zeitungen bereits davor warnen.
☛ Pubertierende finden quergedachte Theorien oft als cool
Pubertierende finden quergedachte Theorien häufig cool und rebellisch – hauptsächlich, wenn Popstars wie Xavier Naidoo, Sido oder Fler sie propagieren. Wie kann man Schüler/innen erklären, dass ihre Helden und Heldinnen sie auf Abwege bringen?
Ein Problem bei Jugendlichen ist laut Brodnig, dass sie Verschwörungstheorien oft einfach nur lustig finden und wertebefreit konsumieren. Jugendliche spielen auch gerne mit provokanten Aussagen.
Wenn ein/e Jugendliche/r jedoch tatsächlich glaubt, was Influencer/innen oder Popstars sagen, empfiehlt Brodnig, andere Influencer/innen oder Popstars zu finden, die sich dagegen aussprechen. Möglicherweise haben auch YouTuber/innen bereits in Videos die Absurdität mancher Thesen aufgezeigt.
Ingrid Brodnig sagt dazu: «Junge wie Erwachsene nehmen sich Informationen oder Faktenchecks eher zu Herzen, wenn sie von einer Person oder Quelle kommen, der sie vertrauen. Wenn aber viele ihrer Idole in dieselbe Richtung tendieren, kann es problematisch werden.»
Viele Menschen vertrauen WhatsApp-Nachrichten ihrer Familie, Freundinnen und Freunde, weil ihre Freunde und Freundinnen sie nie belügen würden. Die Chance ist jedoch hoch, dass auch diese Freunde und Freundinnen solche News nicht gegenchecken. Und sie nur weiterleiten, weil sie interessant sind und in ihr Weltbild passen.
Emotionalisieren solche Nachrichten stark und lösen sie Wut aus, sollte man vorsichtig sein, genauer hinschauen und einen Faktencheck anstellen.
☛ Wie weit kommt man bei überzeugten Verschwörungstheoretikern und Verschwörungstheoretikerinnen mit Argumenten?
Das hänge davon ab, ob jemand nur verunsichert ist, die Verschwörungstheorie spektakulär findet oder komplett überzeugt davon ist, sagt Brodnig: «Je größer die Überzeugung, desto weniger erfolgreich ist ein eloquent vorgebrachter Faktencheck oder ein schön dargelegtes Unterrichtsbeispiel». Wir Menschen sehen es allgemein nicht gerne, dass wir falsch liegen und unsere Überzeugungen ändern sollten. Doch selbst ein kleiner Zweifel an der Verschwörungstheorie kann bereits ein großer Erfolg sein.
☛ Welches Bedürfnis steht hinter dem Vertrauen in Verschwörungstheorien?
Sie liefern in einer undurchschaubaren Zeit simple Erklärungen, indem sie Vorurteile bestätigen oder Schuldige liefern. In der Psychologie spricht man vom Kontrollverlust, wenn Leute verunsichert über die Kontrolle ihres eigenen Lebens sind. Verschwörungstheorien geben in solchen Situationen das Gefühl des Durchblicks: «Es fühlt sich besser an, das Gefühl zu haben, zu wissen, was wahr ist.»
Versuche man, solche Ansichten mit rein logischen Argumenten zu bekämpfen, dann blende man die dahinterliegenden Bedürfnisse aus – zum Beispiel dass Menschen Angst oder auch Vorurteile haben.
☛ Schulen können wie eine Impfung gegen Verschwörungstheorien wirken:
Indem sie schon vorab darauf aufmerksam mache, was für Unsinn kursiert, woran Warnsignale des Unseriösen zu erkennen sind und wie Faktenchecks durchzuführen sind.
☛ Aktuelle Brennpunkte und Vorsorge
Manchmal müssen Lehrer/innen wie die Feuerwehr aktiv werden, wenn es bereits brennt und Falsches im Umlauf ist. In manchen Fällen fungieren sie jedoch als Vorsorge und bieten Schülerinnen und Schülern die Chance, ihre Medienkompetenz zu entwickeln, die ihnen auch später noch nutzen wird. «Diese Grundkompetenz sollte jeder Jugendliche in seiner Schulzeit erlernen», sagt Brodnig.
☛ Ingrid Brodnig:
Die Autorin und Journalistin Ingrid Brodnig analysiert die Brennpunkte zwischen Mensch und Internet. Sie hat mehrere sehr lesenswerte Bücher veröffentlicht:
„Hass im Netz“ (2016),
„Lügen im Netz“ (2017),
„Übermacht im Netz“ (2019).
Quelle:
Ingrid Brodnig: „Schule impft gegen Verschwörungstheorien“
(«Was jetzt» – Österreichs Magazin für Schule und Berufsbildung)