Falsifizierbarkeit ist ein Qualitätsmerkmal wissenschaftlicher Theorien. Sie müssen so «gebaut» sein, dass sie falsifiziert, also widerlegt werden können. Die Falsifizierbarkeit wird häufig auch als Kriterium aufgeführt, mit dem wissenschaftliche Theorien von Verschwörungstheorien zu unterscheiden sind. Verschwörungstheorien seien nicht falsifizierbar, heisst es dann. Darum sollten sie nicht Verschwörungstheorien genannt werden, weil das eine Aufwertung sei. Es werden dann Ersatzbegriffe vorgeschlagen wie Verschwörungsideologien, Verschwörungsmythen, Verschwörungserzählungen, Verschwörungsnarrativen.
In einem Interview mit dem «Philosophie Magazin» erklärt der Amerikanist und Experte für Verschwörungstheorien Michael Butter dazu:
«Ich bin ein großer Verfechter des Begriffes „Verschwörungstheorie“, weil dem Vorschlag von Ideologien, Narrativen oder Mythen zu sprechen, je gute Gründe entgegenzuhalten sind. Zunächst kann man nämlich sagen, dass es sich beim Begriff „Theorie“ nicht um ein Qualitätsurteil handelt, wie manche denken. Anders als das Wort vielleicht manchmal im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet und verstanden wird, fassen analytische Philosophen unter „Theorie“ nichts weiter als eine Antwort auf eine Warum-Frage, die sich aus einem System von Wissen ergibt, das sich aufeinander bezieht.
Ob dieses System die Frage überhaupt – und wenn ja: gut oder schlecht – beantworten kann, steckt nicht im Wort „Theorie“. Zudem erzeugen die anderen Vorschläge jeweils selbst mehr Probleme, als sie lösen. Wer von „Verschwörungsmythen“ spricht, macht einen Unterschied zwischen Mythos und Logos auf und tut so, als ob alles, was nicht Verschwörungstheorie ist, die Wahrheit sei. Ähnlich verhält es sich auch mit Verschwörungsideologie, da natürlich auch nicht-verschwörungstheoretische Inhalte ideologisch gefärbt sein können. Zudem macht der Begriff Verschwörungstheorie deutlich, dass sich diese Erklärungsversuche nicht in vielen, jedoch entscheidenden Punkten von wissenschaftlichen Erklärungen unterscheiden.»
Falsifizierbarkeit ist kein passendes Kriterium
Michael Butter geht im Interview auch auf die Frage der Falsifizierbarkeit ein:
«Oft wird die Falsifizierbarkeit als das Kriterium genannt, dass eine Verschwörungstheorie von einer wissenschaftlichen unterscheidet. Ich halte das für falsch, denn auf der einen Seite lassen sich natürlich viele Verschwörungstheorien durch Fakten entkräften und auf der anderen Seite können wir nicht alle Theorien in den Sozialwissenschaften falsifizieren. Das Problem ist vielmehr, dass Verschwörungstheoretiker die Falsifikation nicht akzeptieren, Wissenschaftler allerdings in aller Regel schon. Und hier liegt der Unterschied zwischen Wissenschaft und Verschwörungstheorie: Offen sein für neue Erkenntnisse und die eigenen Überzeugungen bereitwillig umbauen, wenn diese nicht mehr zu halten sind. Diese Fähigkeit könnte man tatsächlich „woke“ (wach, aufmerksam) nennen.»
Quelle:
Michael Butter: „Früher stellten Verschwörungstheorien eine anerkannte Form des Wissens dar“ (Philosophie Magazin)
Anmerkung:
Entscheidend ist der Satz:
«Das Problem ist vielmehr, dass Verschwörungstheoretiker die Falsifikation nicht akzeptieren, Wissenschaftler allerdings in aller Regel schon.»
Verschwörungsgläubige akzeptieren wissenschaftliche Argumente, aber nur dort, wo diese die verschwörungstheoretischen Vorstellungen bestätigen oder zu bestätigen scheinen. Widersprechende Argumente werden ausgeblendet. Es geht hier eher um Tribalismus (Stammesdenken). Wahr ist in diesem Kontext das, was zur Vorstellungswelt des eigenen Stammes passt. Siehe dazu:
Tribalismus, digitaler: Problematik des Stammesdenken