Der pauschale «Lügenpresse»-Vorwurf kommt oft zusammen mit Verschwörungstheorien vor. Weil Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker von ihrer eigenen Interpretation der Welt sehr überzeugt sind, vermissen sie diese in den Medien und werfen ihnen vor, «Wahrheiten» zu verschweigen.
Einen Langzeitstudie erfasst seit Jahren differenziert das Medienvertrauen:
„Lügenpresse“-Vorwürfe sind in der Bevölkerung weiterhin verbreitet, aber der Widerspruch dagegen nimmt zu. Insgesamt ist das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk stabil. Das Medienvertrauen variiert allerdings je nach Thema. Es ist relativ hoch bei den Themen „Klimawandel“ und „Wohnungsnot“.
Etwa 20% der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland werfen den Medien vor, die Bevölkerung systematisch zu belügen. Gleichzeitig steigt jedoch die Zahl der Menschen, die solche Vorwürfe zurückweisen. Das zeigen neue repräsentative Resultate aus der Langzeitstudie „Medienvertrauen“, die am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) durchgeführt wird.
Laut der Studie stimmen 18 Prozent der Bevölkerung der Aussage zu: „Die Bevölkerung in Deutschland wird von den Medien systematisch belogen.“ Im Jahr 2018 waren es 16 Prozent, 2016 19 Prozent. In der neuen Umfrage weisen aber 58 Prozent den „Lügenpresse“-Vorwurf zurück, was der bisher höchste gemessene Wert in der Langzeitstudie ist. Ein Jahr zuvor taten dies nur 51 Prozent, 2016 nur 44 Prozent. Die Zahl der Menschen, die sich nicht auf eine Seite festlegt, ist laufend kleiner geworden und liegt nun bei 22 Prozent (2016 waren es 36 Prozent).
Die Resultate basieren auf einer repräsentativen Telefon-Umfrage (CATI), die das Meinungsforschungsinstitut IFAK im November und Dezember 2019 im Auftrag der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Publizistik durchführte. Die statistische Fehlertoleranz liegt bei maximal 2,8 Prozent.
Zunehmende Polarisierung
Eine ähnliche Polarisierung wie beim „Lügenpresse“-Vorwurf ergab sich bei anderen Aussagen. So stimmen 23 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Die Medien arbeiten mit der Politik Hand in Hand, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren.“ 53 Prozent sprechen sich gegen diesen Vorwurf aus. Im Jahr 2016 stimmten diesem Vorwurf 27 Prozent zu, während 40 Prozent in ablehnten. Insgesamt weisen in dieser aktuellen Umfrage mehr Menschen als in den vergangenen Jahren Aussagen zurück, die den Medien absichtliche Manipulation und systematische Lüge vorwerfen.
Die erhobenen Daten zeigen zudem, dass 43 Prozent den etablierten Medien in wichtigen Fragen vertrauen. Befragt wurden dazu 1.200 Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahren. Damit bleibt die Zustimmung seit nunmehr vier Jahren in Folge auf vergleichsweise konstantem Niveau (2016: 41 Prozent; 2017: 42 Prozent; 2018: 44 Prozent). Allerdings äußern 28 Prozent der Befragten Misstrauen, was gegenüber dem langjährigen Trend ein Anstieg ist (2016: 22 Prozent; 2017: 17 Prozent; 2018: 22 Prozent). Die Gruppe derjenigen Personen, die beim Vertrauen eine mittlere Position bezieht („teils, teils“) ist so klein wie noch nie in den bisher sechs Umfragewellen der Mainzer Forschungsgruppe. Ihr Anteil liegt nun bei 29 Prozent. 2018 waren es dagegen noch 34 Prozent, im Jahr 2008 sogar 63 Prozent. Offenbar sehen sich immer mehr Personen angesichts einer sich immer stärker polarisierenden Debattenkultur dazu herausgefordert, auch selbst Position zu beziehen.
Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bleibt stabil
Das Vertrauen ins öffentlich-rechtliche Fernsehen hält sich seit Jahren recht stabil. In der aktuellen Erhebungswelle vertrauen ihm 67 Prozent der Befragten (2018: 65 Prozent, 2016: 69 Prozent). Regionalzeitungen folgen mit 65 Prozent direkt dahinter. In der Umfrage wurde zwischen regionalen und überregionalen Zeitungen differenziert. Überregionale Zeitungen werden von 55 Prozent der Befragten als vertrauenswürdig eingestuft (2018: 49 Prozent). Die Umfragedaten zeigen jedoch auch, dass zahlreiche Menschen überregionale Zeitungen nicht (mehr) aus eigenem Lesen und Erleben kennen: Wohl aus diesem Grund enthalten sich 20 Prozent der Befragten eines Urteils über die Vertrauenswürdigkeit der überregionalen Presse.
Relativ hohes Vertrauen in Berichterstattung über Wohnungsnot und Klimawandel
Das Medienvertrauen der Bürgerinnen und Bürger erwies sich allerdings nicht über alle Themen hinweg gleich groß: Übergreifend vertrauen 43 Prozent der befragten Deutschen den etablierten Medien bei „wichtigen Dingen“. Beim Thema „Wohnungsnot“, das sich in der Diagnose wenig als wenig umstritten erweist, halten 55 Prozent die Berichterstattung für vertrauenswürdig, nur 16 Prozent haben kein Vertrauen, die übrigen Personen äußern sich unentschieden oder gar nicht. Beim Klimawandel äussern 48 Prozent der Befragten Vertrauen in die Medien, 23 Prozent dagegen nicht. Umstrittener war in der Umfrage die Berichterstattung über die AfD: Bei diesem Thema haben nur 36 Prozent Vertrauen, 32 Prozent haben kein Vertrauen. In die Berichterstattung über den Islam haben nur 31 Prozent Vertrauen.
Leicht gestiegenes Vertrauen in Social Media
Das Vertrauen in Social-Media-Angebote als Quelle von Nachrichten ist grösser geworden, nachdem es in den Vorjahren unter den Debatten über Datenskandale und Fake News gelitten hatte. Ein Faktor für diese Verbesserung könnten Auswirkungen von Imagekampagnen der Digitalkonzerne sowie politische Regulierungen beziehungsweise Debatten über Regulierungen sein. Im Jahr 2018 äußerten nur vier Prozent der Befragten Vertrauen zu den Nachrichten in sozialen Netzwerken, in der neuen Umfrage sind es dagegen 10 Prozent. Der Anteil der Personen, die Nachrichten in sozialen Netzwerken nicht für vertrauenswürdig halten, beträgt nun 45 Prozent (2018: 51).
Zusammenhang zwischen geringer Zufriedenheit mit der Demokratie und pauschaler Medienkritik
Wie in den Vorjahren legen die Resultate der Umfrage nahe, dass das Vertrauen in die etablierten Medien im Zuge der „Lügenpresse“-Debatte keineswegs in großem Stil erodiert ist. Dennoch hat sich ein relevanter Kern an Kritikern etabliert, der die etablierten Medien pauschal verurteilt. Dieser Kern ist zuletzt angewachsen, bei einer insgesamt seit Jahren steigenden Polarisierung, die sich klar in den Daten zeigt. Personen, die gegenüber den etablierten Medien zynisch eingestellt sind, finden sich überdurchschnittlich oft am rechten Rand des politischen Spektrums. Sie sind formal niedriger gebildet, deutlich politikverdrossener und sie befürchten, dass sich ihre wirtschaftliche Lage in der Zukunft verschlechtern wird. Darüber hinaus zeigt die Umfrage, dass die etablierten Medien insbesondere von denjenigen Bürgern pauschal verurteilt werden, die oft alternative Nachrichtenquellen im Social Web konsumieren und regelmäßig Nutzerkommentare auf den Seiten der etablierten Medien hinterlassen.
Zur Langzeitstudie „Medienvertrauen“
Die langfristig angelegte Studie zum Medienvertrauen gründet auf mehr als einem Jahrzehnt kommunikationswissenschaftlicher Vertrauensforschung am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im Zentrum stehen regelmäßige repräsentative Befragungen, die die Entwicklungen, Ursachen und Folgen des Medienvertrauens erfassen. Die Schwerpunkte der Studie liegen bei der Verbreitung von funktionaler und dysfunktionaler Medienkritik (u.a. „Lügenpresse“-Vorwürfe) und bei den Beziehungen zwischen Medienvertrauen, Mediennutzung, politischen und gesellschaftlichen Einstellungen und Persönlichkeitseigenschaften. Zum Forschungsteam zählen: PD Dr. Nikolaus Jackob, Dr. Ilka Jakobs, Prof. Dr. Oliver Quiring, Prof. Dr. Christian Schemer, Prof. Dr. Tanjev Schultz und Prof. Dr. Marc Ziegele.
Weiterführende Links zur Studie:
https://download.uni-mainz.de/presse/02_publizistik_medienvertrauen_2019.pdf – Ein Dossier zur aktuellen Studie mit Schaubildern
https://medienvertrauen.uni-mainz.de/ – Zur Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen
Quelle:
https://idw-online.de/de/news732021
Mehr zum «Lügenpresse»-Vorwurf hier:
Lügenpresse als Einbildung – Medienkrise als Realität