Die Auswertung einer aktuellen Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung zeigt die Verbreitung von Verschwörungsmythen rund um die Corona-Pandemie.
Danach haben 18 % der Erwerbspersonen in Deutschland im Sommer 2021 in hohem Ausmaß Verschwörungsmythen rund um die Corona-Pandemie, Zweifeln an der Gefährlichkeit des Coronavirus und sehr grundlegender Kritik an den Corona-Schutzmassnahmen zugestimmt.
Im Gegensatz dazu lehnten 57 % bei der Befragung im Juni/Juli 2021 solche Aussagen ab, 24 % äusserten eine ambivalente Haltung.
Befragt wurden mehr als 5000 Erwerbstätige und Arbeitsuchende.
Bei dem knappen Fünftel der befragten Personen, die ein hohes Ausmass an Zustimmung zeigen, ist dabei nur wenig Differenzierung zwischen der Zustimmung zu kritischen Positionen und zu offenen Verschwörungsmythen festzustellen: Über 90 % der Befragten, die Aussagen wie: «Die derzeitigen Einschränkungen der Freiheitsrechte stellen eine Bedrohung der Demokratie dar» zustimmen, unterstützen auch mindestens eine der folgenden Aussagen: «Ich kann mir vorstellen, dass hinter der Pandemie eine Elite steht, die eine neue Weltordnung schaffen will» oder: «Ich kann mir vorstellen, dass die Pandemie von Eliten benutzt wird, um die Interessen von Reichen und Mächtigen durchzusetzen.»
Überdurchschnittlich verbreitet ist eine starke Zustimmung zu Corona-Zweifeln und Verschwörungsmythen unter den befragten Personen mit niedrigem Einkommen oder niedrigem Schulabschluss, sowie bei jüngeren Befragten und solchen, die bisher keine Corona-Infektionen in ihrem näheren Umfeld hatten, in Ostdeutschland, sowie bei Personen, die unter der Coronakrise finanziell gelitten haben.
Laut dem Studienautor Andreas Hövermann deuten diese Muster darauf hin, dass sowohl Gefühle von „Ohnmacht und Kontrollverlust“ eine Hinwendung zu Corona-Zweifeln und Verschwörungsmythen begünstigen können als auch der Eindruck, persönlich nicht oder weniger stark vom Coronavirus bedroht zu sein.
Institutionenmisstrauen in Ostdeutschland fördert Verschwörungsmythen
Ein weiterer Faktor sei das „deutlich höhere politische Institutionenmisstrauen“ in Ostdeutschland erklärt Hövermann. Er ist Experte für Sozialforschung bei der Hans-Böckler-Stiftung
Blickt man auf Parteipräferenzen, zeigt die Umfrage eine erhebliche Überschneidung zwischen Zweifeln und Verschwörungsmythen und der Bereitschaft, AfD, ungültig oder gar nicht zu wählen.
Die Untersuchung bietet auch Daten zur Entwicklung im Zeitverlauf, weil wiederholt dieselben Menschen befragt wurden. Bei den meisten der genannten Aussagen nahm die Zustimmung über die Zeit tendenziell eher zu als ab und wurde zum Beispiel nicht durch tiefe Corona-Fallzahlen beeinflusst.
Verschwörungsmythen führen zu riskanterem Verhalten
Eine hohe Zustimmung zu Corona-Zweifeln und Verschwörungsmythen steigert offensichtlich die Bereitschaft zu riskantem Verhalten: So stimmten im Sommer von den befragten Personen, die sich erklärtermaßen nicht an die AHA-Schutzregeln halten, 52 % auch solchen Sichtweisen in hohem Ausmaß zu. Ein deutlicher Zusammenhang liess sich auch finden zu entschiedener Ablehnung von Impfungen: Von den gut 6% aller Befragten, die erklärten, sich „auf keinen Fall“ impfen zu lassen, neigen gut 80 % auch Corona-Zweifeln und Verschwörungsmythen zu.
Viel tiefer, doch gleichfalls deutlich erhöht, ist die Quote unter zweifelnden Ungeimpften, die sich zum Zeitpunkt der Befragung „eher nicht“ impfen lassen wollten. Diese Befunde liegen laut Hövermann auf einer Linie mit den Resultaten anderer Befragungen. Sie «zeigen eindrücklich, wie bedeutend der Faktor Misstrauen bei der Impfentscheidung ist.»
Der Sozialforscher rät einerseits, den beobachteten Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Prekarität durch die Coronakrise und Zustimmung zu Verschwörungsmythen ernst zu nehmen: Eine bessere finanzielle Abfederung der durch die Krise entstandenen finanziellen Folgen und damit der Kontrollverluste könne das äußerst wichtige, Vertrauen vermittelnde Gefühl zurückbringen, politisch mit seinen finanziellen Nöten und Sorgen gesehen und vertreten zu werden, erklärt Hövermann. Er spricht sich gleichzeitig dafür aus, dass es weiterhin Ziel staatlicher und wissenschaftlicher Institutionen sein müsse, Desinformation über eine vermeintlich geringe Gefährlichkeit des Virus oder eine vermeintliche Gefahr durch eine Impfung abzuschwächen und zu widerlegen.
Die Resultate der Befragung machten jedoch andererseits auch „deutlich, welch große Behinderung Befragte mit Skepsis und Verschwörungsmythen in der Bekämpfung der Pandemie darstellen“, warnt der Sozialforscher. Als sehr bedenklich bewertet er den deutlichen Zusammenhang zwischen hoher Zustimmung zu Corona-Zweifeln und Verschwörungsmythen und konkretem Verhalten: Für problematisch hält er nicht nur die generelle Ablehnung der Schutzimpfung durch Befragte in dieser Gruppe. Sie verhalten sich darüber hinaus auch besonders rücksichtslos, «sodass sie eine stark erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, bald sich selbst und womöglich auch andere zu infizieren.»
Quelle:
KNAPP EIN FÜNFTEL DER ERWERBSPERSONEN TEILEN CORONA-ZWEIFEL UND VERSCHWÖRUNGSMYTHEN IN HOHEM MASSE – NEIGUNG ZU RISKANTEM VERHALTEN (Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung)
Ausserdem:
Die Pressemitteilung und die Studie weisen auf den engen Zusammenhang von Misstrauen und Verschwörungsmythen hin.
Wichtig ist in diesem Kontext die Unterscheidung zwischen gesundem Misstrauen und toxischem Misstrauen. Hier dazu mehr:
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen