Die Corona-Krise überfordert offenbar ganz unterschiedliche Menschen. Promis wie Michael Wendler, Attila Hildmannoder Xavier Naidoo, Ärzte wie Bodo Schiffmann, Wolfgang Wodarg oder Sucharit Bhakdi, Anwälte wie Reiner Fuellmich. Immer wieder fallen aber auch Kirchenleute durch absurde Äusserungen auf. Nun hat sich sogar ein höherer «Würdenträger» in den Kaninchenbau der Verschwörungstheorien verirrt: Kardinal Müller.
Er ist mit Äusserungen aufgefallen, die ein Experte als »größtenteils verschwörungsideologisch« bezeichnet. Kardinal Müller gilt als konservativer Hardliner.
In einem Interview hat er davon gesprochen, dass die Corona-Pandemie genutzt werde, um »die Menschen jetzt gleichzuschalten« und einer »totalen Kontrolle« zu unterziehen. Solche Formulierungen gelten als charakteristisch für Verschwörungstheorien.
Fehlgeleitete Elitenkritik
Der frühere Regensburger Bischof behauptete in einem Interview, dass hinter Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie eine finanzkräftige Elite stecke. (1)
»Leute, die auf dem Thron ihres Reichtums sitzen«, sehen nach den Vorstellungen von Kardinal Müller »eine Chance jetzt, um ihre Agenda durchzusetzen«.
Kardinal Müller ist Richter am höchsten Gericht des Vatikans. Er erwähnte im Interview auch ausdrücklich den amerikanisch-jüdischen Investor George Soros. Dies könne »als antisemitische Chiffre gewertet werden«, sagte der Politikwissenschaftler und Experte für Verschwörungsmythen Jan Rathje.
Kardinal Müller führte zudem aus, er wolle »eigentlich nicht geschaffen und erlöst werden« von Leuten wie dem früheren Microsoft-Chef Bill Gates oder Klaus Schwab, dem Chef des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos (2)
Soros und Gates gehören zu den beliebtesten Feindbildern im Kontext von Verschwörungstheorien.
Rathje kommentierte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa Müllers Behauptungen so: »Die Aussagen lassen sich größtenteils verschwörungsideologisch werten.«
Auf eine Anfrage der dpa an den Vatikan kam zunächst keine Reaktion. Auch die Deutsche Bischofskonferenz kommentierte die Aussagen von Kardinal Müller nicht und verwies auf ihren Aufruf, sich impfen zu lassen.
Kardinal Müller war fünf Jahre lang war Chef der Glaubenskongregation. Die Behörde hat die Aufgabe, die Glaubens- und Sittenlehre der gesamten katholischen Kirche zu schützen. Im Jahr 2017 hatte sich Papst Franziskus von ihm getrennt.
Kardinal Müller fiel schon früher mit einem verschwörungstheoretischen Manifest auf
Kardinal Müller hatte bereits zu Beginn des Jahres 2020 ein Manifest eines Erzbischofs gegen die Coronabeschränkungen unterschrieben, in dem Narrative aus Verschwörungsmythen auftauchen (3). Die Rede war damals vom »Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht.»
Zu seinen gegenwärtigen Aussagen schrieb Müller der dpa in einer E-Mail, dass er die Logik zurückweise, dass »wenn jemand die Finanzelite kritisiert, er automatisch auf der falschen Seite ist«. (4)
Er redete erneut von einer »nicht legitimierten Einflussnahme der superreichen Eliten in verschiedenen Ländern« und bestätigte damit den Eindruck, dass tief in Sumpf der Verschwörungstheorien steckt.
Quelle:
«Geplante Gleichschaltung der Menschen»: Kardinal Müller verbreitet Corona-Verschwörungsmythen (Spiegel online)
Anmerkungen:
(1) Die Vorstellung, dass diese komplexe Corona-Pandemie durch eine verschwörerische Gruppe gesteuert werden könnte, ist hochgradig unplausibel. Sie setzt ein mechanistisches Welt- und Menschenbild voraus, wie es in der Realität nicht vorkommt.
(2) Der Gründer des Weltwirtschaftsforums, Kurt Schwab, steht im Zentrum der Verschwörungstheorie vom «Great Reset».
(3) Zum Manifest von 2020:
Kirchlicher Aufruf mit skurrilen Verschwörungstheorien
Bistum Trier: Weltanschauungsbeauftragter kritisiert «Verschwörungstheorien aus den eigenen Reihen»
(4) Selbstverständlich ist es möglich und oft auch nötig, die Eliten oder speziell die Finanzeliten zu kritisieren. Wer das allerdings verschwörungstheoretisch macht lenkt von realen Problemen ab:
Ablenkung durch Verschwörungstheorien statt Lösung realer Probleme
Eine Variante dieser Ablenkung ist die Personalisierung. Sie ist ein häufig anzutreffendes Element in Verschwörungstheorien. Dabei werden einzelne Personen und deren persönliche Eigenschaften stark in den Vordergrund gestellt und die Verantwortung für komplexe politische und gesellschaftliche Ereignisse, Vorgänge und Zustände diesen Personen zugeschrieben. Die Lösung aller Probleme soll im Austausch dieser Personen liegen. Das ist irreführend. Siehe dazu:
Personalisierung als Element in Verschwörungstheorien
Ausserdem:
In Italien ist das erzkatholische „Radio Maria“ ein „Superspreader“ für Corona-Verschwörungstheorien:
Radio Maria: Unsere tägliche Ration Verschwörungstheorie gib uns heute….
Inzwischen wurden die äusserungen von Kardinal Müller von verschiedenen Seiten scharf kritisiert. Siehe dazu:
Breite Kritik am Verschwörungsmythen von Kardinal Müller