Die Jazztage Dresden mischen seit 2019 Musikdarbietungen mit Verschwörungstheorien. Im Jahr 2019 referierte der «Truther» und selbsternannte Friedensforscher Daniele Ganser zu seinem Lieblingsthema, den Anschlägen vom 11. September 2001 (9/11). Im Jahr 2020 wurde Ganser wieder an die Jazztage Dresden eingeladen und referierte unter anderem zu seiner These über die Ermordung John F. Kennedys.
Michael Ernst hat damals in der Sächsischen Zeitung den Stil Gansers gut auf den Punkt gebracht:
«Ist es noch Manipulation, wenn ein Manipulator seine Manipulationstechnik erläutert? Wenn mittels Wiederholung und nochmaliger Wiederholung Stichworte, Vermutungen und Zusammenhänge vorgetragen werden, um dem Publikum eine Kernbotschaft einzuprägen, die als neu und originell dargestellt wird?
Der Schweizer Historiker Daniele Ganser hat im Buch „Imperium USA – Die skrupellose Weltmacht“ seine These über die Ermordung John F. Kennedys dargestellt und dies ausführlich in zwei Vorträgen zu den Dresdner Jazztagen erläutert. Ein brillanter Rhetoriker, der zumeist smart, stets mit viel Charme und sympathieheischenden Witzeleien auf seine Hörerschaft einwirkt. Raffiniert eingestreute Sätze wie „Glaube nicht alles, was du denkst“ sorgen für ein Vertrauensverhältnis, das man ihm unbedingt abnehmen soll.
Er wolle nicht belehren und schon gar nicht bevormunden, sagt Ganser. Erklärt dann aber noch- und nochmal, wie der Trick mit dem Wiederholen funktioniert. „Habe ich schon gesagt, dass …?“ Da hat er die Lacher selbst beim x-ten Mal auf seiner Seite, auch wenn die Inhalte seines redundanten Referierens alles andere als neu sind.»
Für Daniele Ganser sind die Jazztage Dresden ein Heimspiel. Er tritt allerdings auch sonst vor allem vor Publikum auf, das überwiegend als Fangemeinde bezeichnet werden kann. Im Vorfeld seines Auftritts 2020 hatte es allerdings heftige Proteste gegeben. Für die Jazztage Dresden war die Situation damals nicht einfach.
Jazztage Dresden 2022: Widerspruch auf dem Podium
Die Jazztage Dresden 2022 nahmen Daniele Ganser erneut als Redner ins Programm, doch gab es zu den Aussagen des Schweizers auf der Podiumsdebatte Widerspruch. Die «Sächsische» schreibt:
«Stattgefunden haben beide Veranstaltungen des zum dritten Mal geladenen Debatten-Stars des Festivals, des Schweizer Verschwörungserzählers Daniele Ganser, in dessen Büchern an allem Übel der Welt immer und ausschließlich die USA, die Nato und „der Westen“ Schuld sind, wobei er Russland am Ukraine-Krieg immerhin eine „Teilschuld“ zugesteht. An Gansers Vortrag „Spaltet Angst die Gesellschaft“ kritisierte Jazzmusiker Peter Inagawa dann auch, dessen „Amerikaner-Bashing“ sei „zu einseitig“ und „die Rolle Russlands völlig unterbelichtet“. So sagte es der Bassist am Folgetag auf der Podiumsdebatte „Wie überwinden wir die Angst?“ Mit dabei waren neben Ganser dessen Sekundant vom verschwörungs-affinen „Alternativ“-Medium Ostsachsen-TV, David Vandeven, sowie Forster selbst als Moderator.
Eine Frau aus dem Publikum fasste den Abend recht treffend zusammen und wandte sich an den ebenso tapferen wie informierten Peter Inagawa: „Drei Menschen auf dem Podium, die relativ einer Meinung sind, 99 Prozent des Publikums vermutlich derselben Meinung, und Sie als Quotenkritiker – was ist das für eine Gesprächsgrundlage?“»
Der Leiter der Jazztage Dresden erklärt, er hätte gerne weitere Andersmeinende aufs Podium gewünscht, doch hätten viele offenbar Angst, sich mit Ganser auseinanderzusetzen.
Für die Abwesenheit «Andersmeinender» hat die «Sächsische» allerdings eine andere Vermutung:
«Möglich wäre auch, dass kaum jemand Relevantes noch Lust hat, sich zum x-ten Mal auseinanderzusetzen mit jenem selbsternannten „Friedensforscher“ respektive mit dessen unbeirrbar geäußerten, aber nicht beweisbaren „Analysen“ („Die USA haben 2014 in Kiew einen Putsch gemacht“, „9/11 war ein Inside-Job der US-Regierung“) oder den zigfach widerlegten, aber trotzdem wie in Dresden immer wieder aufs Neue erhobenen Falschbehauptungen: Laut Ganser hat – nur zum Beispiel – Deutschland 1999 Serbien bombardiert, die Nato 1989 der SU offiziell versprochen, es werde keine Osterweiterung geben, und: „Wenn man Waffen liefert an eine Kriegspartei, ist man selber Kriegspartei.“ Freilich kann man all das als „Meinung“ respektieren. Vorausgesetzt, man ist bereit, Desinformationen derart zu verniedlichen.»
Quelle:
Jazztage: So war der Ganser-Auftritt (Sächsische, 2020)
Jazztage Dresden: Gute Musik – böser Westen (Sächsische, 2022)
Anmerkungen:
☛ Der Jazzmusiker Peter Inagawa und die Journalisten der «Sächsischen» greifen die problematischen Punkte bei Daniele Ganser bemerkenswert klar auf.
☛ Weitere Texte zu Daniele Ganser:
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Beitrag zu Daniele Ganser in der Enzyklopädie