Im italienischen Fernsehen kamen seit Kriegsbeginn am 24. Februar in den wöchentlich rund zwanzig Talkshows der verschiedenen italienischen Sender auffällig viele kremlnahe Journalisten und Experten zu Wort. Wiederholt luden mehrere Kanäle die russische Journalistin Nadana Friedrichson ein. Sie arbeitet für den Sender „Zvezda“, der vom Verteidigungsministerium in Moskau betrieben wird.
Ziel der „russischen Spezialoperation“ in der Ukraine sei es, den Krieg zu beenden, „den das von den USA gestützte Regime in Kiew“ angefangen habe, behauptete Friedrichson. Auch der Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, wird gerne das Wort erteilt. Genauso wie ihr Chef Lawrow bezeichnet sie dabei immer wieder das Massaker von Butscha nahe Kiew als Fake News. Trotzdem wurde sie immer wieder in Talkshows eingeladen.
Außenminister Sergej Lawrow durfte in einem 43-minütigen Interview auf «Rete4», einem Privatsender des ehemaligen Regierungschefs und Medienmoguls Silvio Berlusconi, fast ununterbrochen monologisierend die Propagandasicht des Kremls verbreiten. Dabei glitt er in Verschwörungstheorien ab.
Sergej Lawrow dozierte, die Ukraine müsse „entnazifiziert“ werden. Auf den Hinweis, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj selbst Jude sei und wohl keine Nazi-Regierung führen könne, antwortete Lawrow: „Ich kann mich irren. Aber Adolf Hitler hatte auch jüdisches Blut. Das heißt überhaupt nichts. Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind.“
Lawrow produziert hier antisemitische Verschwörungstheorien, die jeder Grundlage entbehren.
Kritik an Interview ohne Gegenfrage
Kurz nach der Ausstrahlung hagelt es erste Kritik, insbesondere am Inhalt, doch ebenso an der Form. Ministerpräsident Mario Draghi äusserte, es habe sich nicht um ein Interview gehandelt, sondern um eine „Volksrede“.
Man müsse sich die Frage stellen, ob man eine Person in eine solche Sendung einladen sollte, die darum bittet interviewt zu werden, ohne jegliche Gegenfrage – und zwar für ein Gespräch von einer bestimmten Länge, nicht nur von einer oder zwei Minuten. Das, so kritisiert Draghi weiter, „ist professionell keine gute Leistung und lässt komische Gedanken aufkommen. Das ist wirklich nicht großartig.“
Zahlreiche Politikerinnen und Politiker in Italien sehen es wie Draghi und sprechen von Propaganda.
Talkshows auf Skandale gebürstet
Dass italienische TV-Sender in ihre Talkshows immer wieder Leute einladen, die gefährliche Kreml-Propaganda verbreiten, überrascht Francesco Costa nicht. Der stellvertretende Chefredaktor der Online-Zeitung «il Post» weist darauf hin, dass italienische Talkshows nicht informieren, sondern unterhalten wollen.
Das sei besonders offensichtlich bei den Talkshows: «Das Ziel der Sendungen ist, einen möglichst grossen Skandal zu entfachen, damit beim nächsten Mal mehr Zuschauer einschalten.» Als Folge dieser Skandal-Hascherei sagen etablierte Experten ihre Teilnahme an derartigen Talkshows immer öfters ab, weil sie nicht länger die immergleichen falschen Argumente widerlegen wollen.
Costa erklärt, dass dieses Problem in Italien im Vergleich zu anderen Ländern besonders gross sei:
«Die russische Propaganda existiert auch in anderen Ländern. Aber in Italien ist sie viel präsenter.»
Quellen:
Interview in Berlusconi-Sender: Lawrow muss keine Fragen fürchten (Tagesschau)
PUTINFANS IN ITALIEN: Atomwaffen gegen die NATO? Das wär’s! (FAZ)
Ausserdem zum Thema Propaganda rund um den Ukraine-Krieg auch ausserhalb der Talkshows :
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