In einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung «Der Standard» äussert sich die Psychiaterin Heidi Kastner zur Frage, weshalb Dummheit nichts mit Intelligenz zu tun haben muss und ab wann eine Diskussion mit Anhängern von Verschwörungstheorien sinnlos ist.
Sie gibt dazu auch eine interessante Umschreibung von dem, was sie unter Dummheit versteht:
«Dummheit ist vor allem mal zum einen diese unhinterfragbare Überzeugung, im Besitz der Wahrheit zu sein, und zwar ohne Zweifel. Damit geht auch die anmaßende Position einher, zu allem eine bedenkenswerte Meinung beziehen zu können, ohne sich über das Thema gründlich zu informieren. Der Glaube, eh genug zu wissen, nur wenn man einmal irgendwo etwas gehört hat, und daraus eine Position beziehen zu können, das ist Faulheit oder Indolenz. Man bemüht sich nicht um ordentliche Entscheidungsgrundlagen und folgt seinem Bedürfnis, mit einem Schild herumzurennen, ohne seine Position zu überdenken oder sich für seine eigene Position verantwortlich zu fühlen, weil diese Verantwortung in der Gruppe diffundiert.
Wenn alle dasselbe schreien, kann ich das getrost mitschreien und brauche mir nicht zu überlegen, was ich da eigentlich schreie. Dummheit ist aber auch eine völlig fehlverstandene Toleranz, die meint, man müsse alles gelten lassen. Das muss man nicht. Man muss auch nicht jede Meinung wertschätzen. Alles verstehen bedeutet bekanntlich, alles zu verzeihen – was W. S. Maugham als Mentalität des Teufels bezeichnet hat. Man muss sich positionieren und überlegen, warum man sich positioniert. Es reicht nicht zu sagen, dass das viele andere auch machen.»
Heidi Kastner: Dummheit ist nicht das Gegenteil von Intelligenz
Dummheit sei nicht das Gegenteil von Intelligenz, erklärt die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie. Intelligenz beziffere einige messbare Parameter in der psychischen Funktionsfähigkeit wie logische Schlussfolgerungen abzuleiten, vernetzend wahrzunehmen, sowie Fähigkeiten, die man im Intelligenztest abfragt: Bildung, Sprachkenntnisse, Wortschatz. Aber das habe mit Dummheit nichts zu tun. Es gebe furchtbar dumme Menschen, die im Intelligenztest grandios abschneiden, und Leute, die seien durchschnittlich begabt, hätten jedoch eine gewisse Form von Klugheit, die sie vor Dummheit bewahrt.
Es gebe intelligente Menschen, die fürchterlich dumme Entscheidungen treffen und sich sehr dumm verhalten. Dummheit bedeute, ignorant zu sein, unglaublich selbstsicher oder nur „bei sich“ zu sein. Es bedeutet auch das Ausblenden von Verantwortungen und dass man keine Informationen vor Entscheidungsfindungen einholt, dass man selbstzentriert und selbstherrlich ist und kein Gefühl dafür hat, dass man als Teil eines Ganzen auf der Welt ist und das Ganze mitbedenken muss, wenn man Entscheidungen trifft. Dummheit habe auch viel zu tun mit einer gewissen Form von Arroganz.
Quelle:
Über Dummheit:
Psychiaterin Heidi Kastner: „Man muss nicht jede Meinung wertschätzen“ (Der Standard)
Ausserdem dazu:
☛ «die anmaßende Position…, zu allem eine bedenkenswerte Meinung beziehen zu können». Das sieht ganz nach dem Dunning-Kruger-Effekt aus, der bei Verschwörungstheorien und sonst im Leben oft mitspielt. Mehr dazu hier: Dunning-Kruger-Effekt.
☛ Hier gibt es Zitate von Heidi Kastner zum Thema aus einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger»:
Über Dummheit, Faktenresistenz und Verschwörungstheorien
☛ Heidi Kastner arbeitet als Chefärztin der forensischen Psychiatrie an der Landesnervenklinik Linz (Österreich). Sie ist auch bekannt geworden als Autorin und Gerichtsgutachterin, zum Beispiel im Fall Josef Fritzl und jenem des Fünffachmörders in Kitzbühel.
Das Buch von Heidi Kastner:
Heidi Kastner: „Dummheit“. € 18,– / 103 Seiten. Kremayr-Scheriau, Wien