Nicht alle, aber viele Verschwörungstheorien sind stark mit Hass verbunden. Das zeigt sich zum Beispiel an der QAnon-Bewegung in den USA. Sie entfaltete gerade ein hohes Potenzial an Hass beim Sturm auf das Kapitol in Washington.
Die Berliner Historikerin Annika Brockschmidt forscht zum Thema Evangelikale, Verschwörungstheorien und Donald Trump.
Im Gespräch mit dem Online-Magazin «Republik» sagt sie, mal ganz abgesehen davon, dass man als Frau in der Öffentlichkeit sowieso deutlich mehr Hasskommentaren ausgesetzt sei als ein Mann, würden «grosse Teile dieser Verschwörungsideologien ein ganz massives Hasspotenzial» bergen.
Wie äussert sich der Hass konkret?
Annika Brockschmidt:
«Die üblichen, quasi harmlosen Vorwürfe lauten, man sei bezahlt von George Soros, der Pharma- oder der Agrarlobby. Aber bald landet man bei Morddrohungen und Gewaltfantasien. Die Heftigkeit steigert sich, je mehr man zu dem Thema publiziert.»
Jedes Mal, wenn sie einen Artikel zu Trump oder Verschwörungsglauben publiziere oder ein Interview zum Thema gebe, explodiere Twitter, sagt die Historikerin:
«Dann ist man zuerst einmal zwei, drei Tage mit Blocken und Melden beschäftigt. Als ich einen Artikel über Verbindungen von Rechtsextremismus, Esoterikern und alternativer Medizin schrieb, schwappte tagelang Hass aus dem Netz über mich drüber. Der Hass hat verschiedene Anknüpfungspunkte. Entweder sind es radikale Impfgegner, die sagen, dass du von der Pharma bezahlt bist und am nächsten Impfstoff verrecken sollst. Oder du sitzt im selben Boot wie Kinderschänder, und wenn wir an der Macht sind, dann kommen Leute wie du dran.»
Auf den ersten Blick wirke das erstaunlich und gegensätzlich, weil diese Gruppen bei öffentlichen Auftritten immer sagten, sie wollten ja bloss Frieden und ihre eigene Meinung frei äussern dürfen:
«Dieser extreme Umschwung vom Selbstbild bei vielen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist schon auffallend. Ich trete hier für etwas ein, was richtig ist und was moralisch gut ist. Und dann auf der anderen Seite dieser extreme Hass, der sich über all jene ergiesst, die eine andere Meinung haben.»
Ein Weltbild – dominiert von Gut und Böse
Dieser Umschwung des Selbstbildes sei auffallend, aber überhaupt nicht erstaunlich. Eigentlich sei er sogar völlig logisch, denn er liege im Weltbild selbst begründet:
«Wenn wir von extremem Verschwörungsglauben sprechen, von QAnon-Verschwörungen, wo es um organisierten Kindesmissbrauch geht oder darum, dass Corona eine Verschwörung ist, um die Menschheit zu versklaven, dann ist das letztlich ein Weltbild, wo es nur noch Gut und Böse geben kann. Jemand, der Kritik äussert an diesen Verschwörungsstrukturen, kann ja nur auf der Gegenseite stehen. Graustufen gibt es nicht, und deswegen gibt es auch keine Neutralität. Wenn ich wirklich an eine okkulte Verschwörung glaube, welcher Kinder zum Opfer fallen, dann muss ja jemand, der meinen Verschwörungsglauben kritisiert, automatisch Teil dieser Sache sein. Dieses Denken schützt mich als Verschwörungsgläubigen auch davor, mich wirklich mit Kritik an meinem Glauben auseinandersetzen zu müssen.»
Annika Brockschmidt hält das für die Radikalisierung für enorm praktisch und hilfreich. Denn wenn jede Kritik automatisch heisse, dass das Gegenüber zu den Bösen gehöre, gebe es keine Diskussionsgrundlage. Das biete erstens einen gewissen Schutz davor, auf Argumente eingehen zu müssen. Zweitens trage es dazu bei, dass der soziale Zusammenhalt in solchen Gruppen immer weiterwachse.
Quelle:
Und plötzlich all diese Helikopter am Himmel (Republik)
Anmerkungen:
☛ Das grosse Potenzial an Hass, das oft mit Verschwörungstheorien verbunden ist, hängt eng zusammen mit Feindbildern und der Schaffung von Sündenböcken.
☛ Es gibt aber auch viele Einzelpersonen, die als Verschwörungstheoretiker Hass verbreiten. Ein fulminanter Hassprediger ist der US-Amerikaner Alex Jones.
☛ In Deutschland ist der Sänger Xavier Naidoo schon länger in diesem „Metier“ tätig. Siehe dazu: Xavier Naidoo „Bestärkt Menschen in ihrem Hass“.
☛ In der Schweiz bietet der Esoterikstar Christina von Dreien eine sanft säuselnde Variante. Siehe: Christina von Dreien: Von Liebe reden, aber Misstrauen und Hass säen.