Die Ablösung von Donald Trump durch Joe Biden als US-Präsident hat in den Kreisen der QAnon-Verschwörungsideologe zu schweren Glaubenskrisen geführt. Sie hatten bis zuletzt gehofft, dass endlich der von Trump behauptete grosse Wahlbetrug auffliegt, Verhaftungen erfolgen und Trump für vier weitere Jahre Präsident bleibt.
Weil der grosse Umbruch ausblieb, herrschen in Telegram-Kanälen Verwirrung und offener Ärger. Eine zentrale Figur in der QAnon-Szene ruft sogar dazu auf, Joe Biden als Präsident zu akzeptieren.
Die Behauptungen von „Q“ sind zwar absurd und viele seiner Ankündigungen traten niemals ein. Doch die Anhänger der QAnon-Verschwörungsideologie ließen sich von solchen Kleinigkeiten wie der Realität bisher nicht beeindrucken. Sie hielten an der Hoffnung fest, dass hinter allem doch irgendwie ein genialer Plan sei, an dessen Ende US-Präsident Donald Trump heldenhaft die angeblich von satanistisch-pädophilen Eliten festgehaltenen Kinder befreit und es zu massenhaften Verhaftungen unter demokratischen Politikern kommt.
Die Amtsübernahme von Joe Biden bringt jedoch nun ein unerfreuliches Erwachen und stürzt viele QAnon-Anhänger in eine echte Glaubenskrise. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, sehen sich in großen Telegram-Gruppen gerade viele Anhänger betrogen, während andere Durchhalteparolen verkünden. Der Abgang von Donald Trump passt ganz und gar nicht zu den Versprechungen, die den QAnon-Fans jahrelang vorgegaukelt wurden.
Das stelle die gesamte Bewegung infrage, schreibt ein Anhänger in einer Gruppe mit über 18.000 Mitgliedern. Ein anderer kommt resignierend zum Schuss, dass damit klar sei, dass es in Wirklichkeit nie einen Plan gegeben habe. Und damit auch keinen „Q“ – also jenen angeblichen Insider, der mit seinen verschwörerischen Prognosen die QAnon-Bewegung in Gang gesetzt hat.
Resigniert die QAnon-Bewegung oder radikalisiert sie sich?
Doch diese Veränderung zeigt sich nicht nur in Form einzelnen Stimmen in anonymen Gruppen: Inzwischen hat mit Ron Watkins auch eine der prominentesten Figuren der QAnon-Szene resigniert. In einem kürzlich veröffentlichten Posting unterstreicht er, dass es nun an der Zeit sei, den neuen Präsidenten zu akzeptieren und damit die US-Verfassung zu respektieren – selbst wenn man anderer Meinung sei.
Ron Watkins fungierte lange als Administrator von 8kun – vormals 8chan –, einem unmoderierten Forum, das seit Jahren nicht zuletzt eine bedeutende Anlaufstelle für Rechtsextreme und Verschwörungsideologen ist. Er steckte auch sehr viel Zeit in die Interpretation der verklausulierten, raunenden Mitteilungen von „Q“. Manche Beobachter nehmen sogar an, dass er selbst „Q“ ist. Zuletzt verbreitete Watkins viele Falschbehauptungen über die US-Präsidentschaftswahl.
Damit wird die QAnon-Verschwörungsideologie jedoch nicht ganz verschwinden: Eine Umfrage ergab vor einigen Tagen, dass noch immer 34 Prozent der in den USA befragten QAnon-Anhänger davon ausgehen, dass Donald Trump in Zusammenarbeit mit dem Militär noch einen weiteren Plan hegt – der sich schon bald zeigen wird. Die Verbreitung in anderen Ländern weist zudem darauf hin, dass sich der QAnon-Kult auch von der Ursprungserzählung entfernen und trotzdem weiterexistieren kann. QAnon-Symbole sind auch in Europa längst fester Bestandteil von Protesten gegen die Covid-19-Vorschriften geworden.
Quelle:
Trump-Ablöse stößt QAnon-Anhänger in tiefe Glaubenskrise (Der Standard)
Anmerkungen:
Auch auf Facebook liess sich diese Unruhe in QAnon-Kreisen beobachten, weil der angekündigte Umsturz ausbleibt. «Trust the Plan», hiess jahrelang die Losung. Nun ist es eindrücklich zu sehen, wie die Anhänger immer wieder Erklärungen und Ausreden dafür finden, warum die Ankündigungen nicht eintreffen. Äussert jemand Zweifel, wird er zum Beispiel darauf hingewiesen, dass er halt tiefer recherchieren müsse, und dass es hier und dort Hinweise gibt auf einen neuen Plan, der demnächst bekannt werde. QAnon-Fans wollen nicht von der Vorstellung lassen, dass Trump im Hintergrund weiter die Fäden zieht.
Resigniert die QAnon-Szene oder radikalisiert sie sich?
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Die QAnon-Verschwörungsideologie hat sich in verschiedene absurde Vorstellungen verrannt. So sollen die angeblich in Bunkern und Höhlen gefangenen Kinder gefoltert werden, um aus ihrem Blut den Stoff Adrenochrom zu gewinnen, den die liberalen Eliten als Verjüngungsmittel verwenden sollen. Das ist nicht zuletzt absurd, weil man Adrenochrom viel einfacher und günstiger synthetisieren und kaufen kann. Ein Eifriger Verbreiter derartigen Unfugs ist Attila Hildmann.