Hat der Glaube an Verschwörungstheorien zugenommen? Das ist nicht eindeutig geklärt. Offensichtlich ist aber, dass Verschwörungstheorien seit der Corona-Pandemie in der Öffentlichkeit sichtbarer geworden sind und oft auch lauter vertreten werden.
In der jüngeren Geschichte sei die Existenz und die Wirkmacht von Verschwörungstheorien wohl noch nie so deutlich vor Augen geführt worden wie in der Corona-Pandemie, schreibt Robin Siebert in seinem Editorial für die Zeitschrift «Aus Politik und Zeitgeschichte»:
«Was lange als Randphänomen in dunklen Nischen des Internets galt, scheint auf einmal allgegenwärtig. Von der Nachbarin bis zum Abgeordneten im US-Kongress reicht das Spektrum derer, die hinter der Pandemie ein Komplott vermuten: das Coronavirus existiere entweder gar nicht oder sei absichtlich in die Welt gesetzt worden. In beiden Varianten steckt die Vorstellung, dass die Pandemie bloß ein Vorwand einer Gruppe Verschworener sei, deren eigentliches Ziel die Errichtung einer weltumspannenden Diktatur ist.»
Woher kommt der Glaube an Verschwörungstheorien?
Der Glaube an Verschwörungstheorien muss für die Verschwörungsgläubigen einen Nutzen haben. Robin Siebert bringt hierzu einen wichtigen Aspekt auf den Punkt:
«Derartige „Theorien“ werden nicht geglaubt, weil sie inhaltlich überzeugend wären. Sie werden von Menschen geglaubt, die an sie glauben wollen.»
Wahr ist für Verschwörungsgläubige, was sich wahr anfühlt. Es geht hier um Truthiness. Damit ist eine gefühlte Wahrheit gemeint, die unabhängig von der Faktenlage ist.
Verschwörungstheorien bieten eine Erklärung der Welt an, die komplexe Ereignisse und Prozesse auf eine einfache Ursache zurückführt. Sie dienen damit der Komplexitätsreduktion. Unterstellt werden dabei in der Regel auch Machenschaften dunkler Mächte. Der Glaube an Verschwörungstheorien führt deshalb oft auch zu Sündenbockdenken und zur Feindbild-Konstruktion.
Verschwörungstheorien verbreiten sich insbesondere in einem Netzwerk aus «alternativen Medien», vermeintlichen Expertinnen und Aktivisten, die Fakten umdeuten oder auch angebliche „alternative Fakten» in die Welt setzen. Zur Begründung von Verschwörungstheorien werden auch oft einzelne Sätze und Zitate aus dem Zusammenhang herausgerissen. Mit diesem Cherry picking («Rosinenpicken») ist eine Technik gemeint, bei der nur Belege oder Beispiele angeführt werden, die die eigene Argumentation stützen, während andere Belege, die gegen die Argumentation sprechen bzw. sie widerlegen, bewusst ausgeklammert werden.
Gefahr für demokratische Gesellschaften
Der Glaube an Verschwörungstheorien ist aus verschiedenen Gründen problematisch. Etabliert er sich, kann daraus eine Gefahr für demokratische Gesellschaften entstehen. Robin Siebert schreibt:
«Anlass zur Sorge bietet nicht nur die Verbindung von Verschwörungstheorien mit Rechtsextremismus und Antisemitismus, sondern auch die Entkopplung eines Teils der Bevölkerung von der Realität.»
Diese Entkoppelung von der Realität kann mit einer Verschwörungsmentalität einher gehen, die zu toxischem Misstrauen führt, und das Vertrauen in demokratische Institutionen untergräbt.
Der grassierende Glaube an Verschwörungstheorien könne auch als ein Symptom für die Entfremdung großer Teile der Bevölkerung von der institutionalisierten Politik gedeutet werden, schreibt Robin Siebert, und empfiehlt, dass genau hier Lösungsversuche ansetzen sollten.
Quelle: «Verschwörungstheorien», 71. Jahrgang Nr. 35–36/2021 der Zeitschrift «Aus Politik und Zeitgeschichte» der Bundeszentrale für politische Bildung.
Ausserdem:
Der Glaube an Verschwörungstheorien bietet Anhängerinnen und Anhänger unbestreitbare Vorzüge, die sich vielfältig einsetzen und instrumentalisieren lassen. Siehe dazu auch:
Die Vorzüge und Instrumentalisierungen von Verschwörungstheorien