Ein Forschungsteam des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM) in Tübingen konnten zeigen, dass der Glaube an Verschwörungstheorien einen entscheidenden Anteil am Widerstand gegen Windräder hat. Sie fanden zudem heraus, wann Informationen dabei helfen, den Widerstand zu vermindern, und wann Informationen wirkungslos bleiben.
Windräder könnten bei der Verminderung des CO2-Ausstoßes und in der gegenwärtigen Energiekrise eine entscheidende Rolle einnehmen, um den Energiebedarf in Deutschland zu sichern. Der Ausbau stockt jedoch seit einigen Jahren. Neben bürokratischen Hürden zieht oft der Widerstand aus der Bevölkerung den Bau von Windkraftanlagen in die Länge oder blockiert diesen ganz. „Falschinformationen und Verschwörungstheorien über Windräder – beispielsweise über scheinbare negative gesundheitliche Folgen – sind in sozialen Medien weitverbreitet“, sagt dazu Dr. Kevin Winter, der wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Soziale Prozesse am IWM ist. Frühere Forschungsarbeiten konnten zudem zeigen, dass Verschwörungsglaube mit einem erhöhten Misstrauen gegenüber Autoritäten und Institutionen verbunden ist – also den Akteuren, die den Ausbau der Windkraft vorantreiben.
Wer zu Verschwörungstheorien neigt, lehnt Windräder stärker ab
In Kooperation mit der University of Queensland (Australien) konnte das Forschungsteam des IWM in einer repräsentativen Umfrage in der deutschen Bevölkerung mit mehr als 2000 Teilnehmenden nun erstmals nachweisen, dass der Glaube an Verschwörungstheorien eine entscheidende Rolle spielt, wenn Windräder abgelehnt werden. Um diese Frage zu untersuchen, wurden die teilnehmenden Personen gebeten, sich vorzustellen, wie sie in einem Referendum über den Bau von Windrädern in ihrem Wohnort abstimmen würden. „Verschwörungsglaube hatte hier einen weitaus größeren Einfluss als demographische Faktoren wie Alter, Bildungsgrad oder die politische Orientierung“, kommentiert Projektleiter Winter die Studienresultate.
Informationen sind nur teilweise wirksam
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden zudem in acht Studien mit über 4000 Teilnehmenden heraus, dass sich das Bereitstellen von Informationen über den Nutzen der Windräder positiv auf die Zustimmung auswirkte – auch bei Personen, die eine Neigung zum Glauben an Verschwörungstheorien aufwiesen. Dieser positive Effekt der Kommunikation fiel jedoch deutlich geringer aus, wenn Menschen an eine konkrete Verschwörungstheorie rund um das Referendum glaubten oder ihnen gleichzeitig negative Informationen über Windräder präsentiert wurden. „Unter realistischen Bedingungen scheint es also schwierig zu sein, nur mit Informationen gegen den Verschwörungsglauben anzukommen“, fasst Winter zusammen. Hier könnte es empfehlenswert sein auf präventive Maßnahmen wie hohe Transparenz und frühzeitige Kommunikation zu setzen, die verhindern, dass Verschwörungstheorien und Falschinformationen ihre Wirkung entfalten können.
Quelle:
Nature-Studie: Verschwörungsglaube und Windkraft-Widerstand hängen eng zusammen (idw-online)
Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s41560-022-01164-w
Kommentar:
Natürlich ist nicht jede Person, die Windräder ablehnt, ein Verschwörungstheoretiker oder eine Verschwörungstheoretikerin. Das behauptet die Studie auch nicht. Eine Verschwörungstheorie kommt erst ins Spiel, wenn Menschen hinter einem Phänomen oder Ereignis einen geheimen, bösen Plan vermuten, ohne dass es dafür Belege oder auch nur glaubwürdige Argumente gibt.
Interessant ist aber, dass Windräder offenbar auch verstärkt abgelehnt werden, wenn jemand an Verschwörungstheorien glaubt, die mit Windrädern per se gar nichts zu tun haben – zum Beispiel an Chemtrails. Hier zeigt sich offenbar, dass Verschwörungstheorien zu einem generalisierten Misstrauen führen können oder zu einer Verschwörungsmentalität. Dann fühlen sich Menschen fast von allem bedroht und hinters Licht geführt, was sie mit dem «Mainstream» oder den «Eliten» in Verbindung bringen. Siehe dazu auch:
☛ Beitrag über Verschwörungsmentalität in der Enzyklopädie
☛ Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen