In der kommunalen Filderhalle in Leinfelden-Echterdingen soll im Mai der «Truther» und selbsternannte Friedensforscher Daniele Ganser einen Vortrag zum Thema „Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?“ halten. Dabei steht auch das Thema „Antisemitismus“ im Raum.
Der Filderstädter Michael Blume ist Landesbeauftragte gegen Antisemitismus und zeigt sich alarmiert. Ganser versuche, mit Unterstellungen und Suggestivfragen seinem Publikum eine Art Alternative zu gesicherten Forschungsergebnissen und historisch fundierten Analysen zu bieten:
„Leider ist Ganser kein harmloser Verschwörungsunterhalter, sondern hat sich mehr und mehr ins gesellschaftliche Abseits manövriert.“ Schon zu Beginn der Corona-Pandemie habe er etwa die inzwischen vom Verfassungsschutz beobachtete Querdenkerbewegung unterstützt. Sein Suggerieren, Ungeimpfte würden wie Juden im Nationalsozialismus behandelt, verharmlose die Verbrechen der Nazis, relativiere den Holocaust und verhöhne die Opfer, erklärt Blume gegenüber der «Stuttgarter Zeitung» und fährt fort:
„Leider müssen wir davon ausgehen, dass Ganser auch in Leinfelden-Echterdingen seine teilweise gefährlichen Verschwörungsmythen verbreiten wird.“
Auch die Gruppierung „Filder Nazifrei“ zeigt sich bei Twitter empört darüber, dass die Stadt Ganser eine Bühne bieten möchte.
Vielfältiger Widerspruch gegen Ganser-Auftritte
Auftritte Gansers stossen an einer Reihe von Orten auf Kritik oder wurden abgesagt.
In Innsbruck hat zuletzt der Bürgermeister dafür gesorgt, dass die Veranstaltung entfällt. In Dresden sagten Künstler 2020 demonstrativ ihre Teilnahme an den Jazztagen ab, weil Ganser für ein Referat eingeladen war. Als Landesbeauftragter für Antisemitismus wünscht sich Michael Blume auch in Leinfelden-Echterdingen eine Reaktion: „Ich hoffe, dass sich Gesellschaft und Politik in der Gemeinde kritisch mit Ganser auseinandersetzen und den geplanten Vortrag nicht unwidersprochen lassen.“
Widerspruch gegen einen Ganser-Vortrag gibt es auch in Dortmund. Das Dortmunder Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus nennt Ganser einen „‚Star‘ der verschwörungsideologischen Szene„. Daniele Ganser sei immer wieder mit Verschwörungserzählungen aufgefallen – beispielsweise zu den Anschlägen vom 11. September oder zur Corona-Pandemie. In einem niederländischen Dokumentarfilm setze der umstrittene Historiker die von ihm wahrgenommene „Spaltung zwischen geimpft und ungeimpft“ mit der Verfolgung von Jüdinnen und Juden im Dritten Reich gleich.
„Damit relativiert er den mörderischen Antisemitismus des NS-Regimes und verharmlost die Schoah„, erklärt Micha Neumann von der Beratungsstelle gegen Antisemitismus ADIRA in Dortmund: „Das ist eine Ausdrucksform des Antisemitismus.„
Aus diesem Grund sieht auch die „Liberale Jüdische Gemeinde“ in Hannover einem dort angekündigten Ganser-Vortrag „mit großer Irritation und Sorge entgegen“. „Krude Verschwörungserzählungen, die häufig in antisemitischen Sprachbildern enden, sind keine Grundlage für eine gesunde Debattenkultur, sondern schlichtweg nicht zu akzeptieren“, sagt Geschäftsführerin Rebecca Seidler.
Keine Bühne für Antisemitismus
Wie die Verwaltung in Leinfelden-Echterdingen sich zum Ganser-Vortrag positionieren wird, ist unklar, ebenso, ob der Gemeinderat eingebunden wird. Man wolle sich zunächst ein genaues Bild darüber machen, wie der Vortrag und die Thesen Gansers einzuschätzen seien, teilt der Sprecher Thomas Krämer mit: „Einer sorgfältigen Analyse geben wir den Vorzug vor einer vorschnellen Prüfung, zumal der Vortrag erst im Mai geplant ist.“ Krämer weist darauf hin, dass es schließlich Städte gebe, die die Vorträge zugelassen hätten. Aus Sicht der Verwaltung sei die Meinungsfreiheit ein hohes Gut. Doch werden grundsätzlich „weder Verunglimpfungen und schon gar nicht Antisemitismus in der Stadt eine Bühne bekommen.“
Quellen:
Filderhalle in Leinfelden: Umstrittener Historiker will zum Ukraine-Krieg referieren (Stuttgarter Zeitung)
Verschwörungserzähler Ganser: Bündnis will Auftritt in Dortmund verhindern (WDR)
„Antisemitische Sprachbilder“:
Jüdische Gemeinde besorgt wegen Ganser-Vortrag in Hannover (t-online)
Anmerkungen:
Der Landesbeauftragte gegen Antisemitismus macht hier auf einen wichtigen Punkt aufmerksam. Von Daniele Ganser sind keine offen judenfeindlichen Äusserungen bekannt. Die Gleichsetzung von Ungeimpften mit verfolgten und systematisch ermordeten Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus ist aber eine Ungeheuerlichkeit und für einen Historiker, der es besser wissen müsste, eine Schande sondergleichen. Derartige Gleichsetzungen verhöhnen die Leiden der Nazi-Opfer. Daniele Ganser biedert sich damit bei der Querdenker-Szene an und erschliesst ein neues Geschäftsfeld. Schliesslich ist sein repetitives Gerede von 9/11 als Inside-Job inzwischen etwas ausgelutscht, nachdem er immer noch keine Anstalten macht, für seine Behauptungen Beweise vorzulegen. Und kaum klingt die Corona-Pandemie ab, tut sich mit dem Ukraine-Krieg ein weiteres Geschäftsfeld auf, das sich mit einer reflexhaften Anti-Mainstream-Haltung bewirtschaften lässt.
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