Verschwörungstheorien sind zwar nicht immer, aber oft begleitet von Feindbildern. Um wen es sich bei den imaginierten Feinden handelt, die eine Verschwörung eingegangen sind, ist unterschiedlich, manchmal aber auch charakteristisch für eine bestimmte Verschwörungstheorie. Bei Impfgegnern ist zum Beispiel Bill Gates ein beliebtes Feindbild, bei Rechtspopulisten und Rechtsextremen ist es George Soros. Und in der Reichsbürger-Szene?
«Reichsbürger» bestreiten die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als legitimer und souveräner Staat und lehnen deren Rechtsordnung ab. Auf diesem Hintergrund entstehen spezifische Feindbilder. Für die Reichsbürger-Szene sind primäre Feindbilder jene Personen, die aus ihrer Sicht hauptverantwortlich sind für die vermeintlich fehlerhaften Herrschafts- und Rechtsverhältnisse. Dazu zählen wie in jeder Verschwörungsideologie Mächte, die im Hintergrund agieren, aber auch politisch direkt Verantwortliche wie ein Bundeskanzler, Minister und andere Politikerinnen und Politiker. Die konkreten Konflikte tragen sie mit weiteren Repräsentanten des Staates aus, die ihnen als sekundäre Feindbilder dienen: Das sind Vertreter von Polizei und Justiz, Finanzämtern und anderen Behörden, die mit „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ in Kontakt geraten, um staatliche Ansprüche und Maßnahmen durchzusetzen. Gegen sie „wehren“ sich Angehörige der Reichsbürger-Szene mithilfe pseudojuristischer Argumentationen, Drohungen oder gar körperlicher Gewalt.
Ein weiteres Feindbild der «Reichsbürger-Szene» sind die «Mainstream-Medien». Sie unterstützen aus Sicht der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ die primären und sekundären Feinde eher, als sie zu kritisieren.
Die «Lügenpresse-Verschwörungstheorie» teilen die Reichsbürger mit Rechtsextremen und teilweise auch mit Rechtspopulisten. Die Berichterstattung der Medien läuft den Verschwörungstheorien der Extremisten entgegen.
Die Feindbilder der Reichsbürger-Szene können in Gewalt umschlage
Die Konstruktion des Staates und seiner Repräsentanten als Feindbild unter „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ ist ein verbindendes Element der Reichsbürger-Szene. Das Verhältnis zur Gewalt unterscheidet sich allerdings stark. Konkrete Gewaltaufrufe von Gruppierungen sind eher die Ausnahme. Den Individuen bietet die Ideologie jedoch grundsätzlich eine Rechtfertigung, um bei Repräsentanten des Staates verbale und körperliche Gegenwehr zu leisten. Aus der Sicht der Reichsbürger-Szene handeln diese willkürlich bzw. „rechtswidrig“. Darum anerkennen „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ rechtliche Verpflichtungen, die ihnen von staatlicher Seite auferlegt werden, als nicht bindend an.
Oftmals leiten «Reichsbürger» daraus ein vermeintliches Recht auf Notwehr gegenüber Staatsbediensteten ab. In der Folge akzeptieren sie zum Beispiel keine Anweisungen von Polizeibeamten und erkennen Rechtsverstöße nicht als solche
Dies kann sich bis hin zur gewalttätigen Gegenwehr steigern, bei der infolge der erhöhten Waffenaffinität im Reichsbürger-Milieu im schlimmsten Fall auch Leib und Leben von Staatsbediensteten bedroht sind.
Beispielhaft dafür stehen vor allem die Vorkommnisse in Georgensgmünd (Bayern) im Oktober 2016. In deren Folge tötete ein „Selbstverwalter“ einen Polizeibeamten.
Der Einsatz von Gewalt wird von schätzungsweise zehn Prozent der bekannten „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ befürwortet. Sie betrachten Gewaltanwendung als adäquates Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen oder zur vermeintlich notwendigen „Verteidigung“ gegenüber dem Staat und dessen Repräsentanten.
Quelle:
Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2020
Ausserdem:
Beitrag zum Thema «Reichsbürger-Szene» in der Enzyklopädie.
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