In Australien kämpfen Kirchenvertreter und indigene Führer gegen absurde Corona-Verschwörungstheorien christlicher «Schurkengruppen». Religiöse Fanatiker erschweren die Impfung der Aborigines, einer von Covid-19 besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppe.
Vor ein paar Wochen tauchten in einer isolierten Aboriginal-Gemeinde in Westaustralien Flugblätter auf. Sie drohten unverfroren mit einer Fahrt zur Hölle. Eine Corona-Impfung sei ein Weg, wie sich der «Teufel in den Körper» einschleiche. So prophezeit es das Dokument laut jenen, die es gesehen haben.
Facebook-Meldungen verbreiten ähnliche Drohungen. Eine FB-Nachricht behauptet, Geimpfte seien nach der Spritze mit dem «Malzeichen Luzifers» gebrandmarkt. Wenn nicht der Teufel, dann sei es die Regierung, die über die Spritze einen Weg in die Körper indigener Australierinnen und Australier suche. Und zwar mit dem Ziel der «totalen Kontrolle über die Menschheit» durch eine vermeintliche «Weltregierung».
Verschwörungstheorien halten Impfrate der Aborigines im Keller
Die an Aborigines gerichteten Verschwörungstheorien scheinen ihr Ziel nicht zu verfehlen. Die Impfrate unter Aborigines und den Bewohnern der Torres-Meeresstrasse liegt überall deutlich tiefer im Vergleich zum Landesdurchschnitt.
Vor allem in isolierten Aboriginal-Gemeinden in Nordwestaustralien mit begrenztem Kontakt zur Aussenwelt dominiert offenbar eine panische Angst vor dem Teufel in der Impfspritze.
Kritiker gehen davon aus, dass die apokalyptischen Botschaften ihren Ursprung in ultrakonservativen christlichen Freikirchen in den USA haben. Diese religiösen Kreise sollen auf diesem Weg versuchen, die Aborigines für ihren Glauben zu gewinnen.
Doch auch ein von einem Australier geführter sogenannter «Indigener Gebetskreis» mischt laut einer Meldung des Senders ABC bei diesen Corona-Verschwörungstheorien mit. Durch die Spritzen würden «digitale Geräte» oder Mikrochips in den Körper injiziert, mit denen Menschen «überwacht» werden könnten, heisst es da etwa.
Der indigene Senator Pat Dodson aus Westaustralien bezeichnet die Urheber solcher Botschaften als «Schurkengruppen». Er hält sie für Menschen, deren «religiöse Lebensaufgabe» es sei, «Unwahrheiten über den Impfstoff zu verbreiten und Angst zu schüren». Er ruft Kirchenführer aller Konfessionen dazu auf, sich zusammenzutun, damit «diese Art von abtrünnigen Gruppen isoliert oder zumindest identifiziert und bekämpft werden kann». Die Propaganda der «Gottesanbeter» verurteilt er als «genauso böse wie das Böse, vor dem sie die Menschen angeblich schützen wollen.»
Vertreter der Grosskirchen sind bereit, den Kampf gegen die Falschinformationen aufzunehmen. «Covid-19 ist eine nationale Gesundheitskrise, die nichts mit Religion zu tun hat», erklärt Ray Minniecon, Aboriginal und Pfarrer der Anglikanischen Kirche.
Seine Botschaft an die Gläubigen lautet so: «Wir sagen: Wer seine Familie liebt, sogar wer seine Feinde liebt, wer seine Gemeinde liebt, muss sich impfen lassen. Denn nur so kann die Ausbreitung des Virus gestoppt werden.» Impfen sei «ein Akt der Liebe».
Misstrauen und schlechte Erfahrungen aus der Vergangenheit
Die Impfskepsis der Aborigines liegt allerdings nicht nur in irregeleiteter religiöser Propaganda begründet. Misstrauen gegenüber der Regierung, die den Impfstoff verteilt und Erfahrungen aus der Vergangenheit wirken mit.
Mit der Invasion Australiens im Jahr 1788 durch britische Sträflinge und ihre Bewacher begann nicht nur ein versuchter Genozid an den Ureinwohnern durch Gewalt, Verfolgung und Kindesentführung. Die Europäer brachten auch Erreger auf den Kontinent, gegen die Aborigines nicht resistent waren. Tausende kamen ums Leben durch Pocken, Grippe, Masern, Tuberkulose und sexuell übertragenen Krankheiten.
Mit «Impfstoff-Verbindungsbeamten» gegen Impfskepsis der Aborigines
Die Regierung hat in der Zwischenzeit angefangen, der Propaganda entgegenzutrete. Eine Einsatzgruppe hat landesweit 30 Regionen ausgemacht, in denen das nationale Impfprogramm beschleunigt werden soll. Begleitet wird die Aktion durch ein Team von «Impfstoff-Verbindungsbeamten», das direkt mit abgelegenen Gemeinden kooperieren soll.
Diese Abgesandten sollen helfen, «kulturell sichere Botschaften zu vermitteln, das Zögern bei der Impfung zu überwinden, die Einwilligung zu erleichtern und Aktivitäten zur Gesundheitsförderung durchzuführen», wie der Kommandant der Einsatzgruppe, John Frewen, erklärt.
Senator Pat Dodson ist der Ansicht, dass die Massnahmen nicht schnell genug kommen können. Es sei schwierig genug für Menschen in abgelegenen Gemeinden, die Grundlagen der Distanzierung, des Maskentragens, das Vermeiden von Versammlungen und die Quarantäne zu verstehen, erklärt er: «Ganz zu schweigen von jemandem, der daherkommt und sagt, dass dieses spezielle Virus das Werk des weissen Mannes und des Teufels ist. Das ist einfach so absurd. Die Leute sollten dafür angeklagt und ins Gefängnis gesteckt werden.»
Quelle:
Tiefe Impfquote bei Aborigines – Die Angst vor dem Teufel in der Impfspritze (SRF, Echo der Zeit)
Anmerkungen:
☛ Dass der Teufel hier ins Spiel kommt, ist nicht vollkommen überraschend. Verschwörungstheorien operieren oft mit einem scharfen Gut-Böse-Dualismus, wie er auch in manchen religiösen Strömungen zu finden ist. Ein historisch bedeutendes Beispiel dafür ist der Manichäismus.
☛ Impfgegner operieren nicht nur bei den Aborigines, sondern auch bei uns oft mit einer Verteufelung der Impfung, die als das Böse schlechthin dargestellt wird. Mit einer differenzierten Kritik hat das nichts mehr zu tun.