Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übte scharfe Kritik an sozialen Medien. In einer Rede bezeichnete er Facebook und Co. als „Gefahr für die Demokratie“. Doch was tun? Dazu holte er sich Experten, um über die richtigen Konsequenzen zu sprechen. Auch für die Verbreitung von Verschwörungstheorien spielen die Social-Media-Plattformen eine zentrale Rolle.
„Die sozialen Medien prämieren viel zu oft die schnelle Lüge – auf Kosten von Vernunft und Wahrheit“, erklärte Steinmeier in einer Rede über „Demokratie und digitale Öffentlichkeit“. Das Geschäft mit der Aufmerksamkeit werde „zur Gefahr für die Demokratie“, warnte der Bundespräsident.
Den Anbietern solcher Plattformen – Steinmeier erwähnte in seiner Rede namentlich Facebook, YouTube, Twitter und TikTok – gälten Werte wie Respekt, Wahrheit und Zivilität wenig, denn „Ausgleich und Mäßigung stören das Geschäft“. Im Gegensatz zu echten Medienmarken gäbe es bei sozialen Medien „keine Redaktion, keinen Presserat und keine Konkurrenz, die mäßigend und kontrollierend einschreiten“.
Facebook & Co.entfalten demokratiezersetzende Wirkung
Das Problem der demokratiezersetzenden Wirkung sozialer Medien beschäftigt Steinmeier offenbar so stark, dass seine Mitarbeiter mit der Bertelsmann-Stiftung eine Diskussion organisiert haben, die im Schloss Bellevue stattfand. Steinmeier sprach dabei von „eiskalter Präzision“ der Algorithmen, vom „gesellschaftlichen Übel“, von über die Plattformen verbreitetem „Lug und Trug“ wie etwa der „böswilligen Mär von der gestohlenen Wahl“ in den USA. Die Demokratie werde zum „Kollateralschaden des Geschäftsmodells“ der Plattformen, kritisierte der Bundespräsident. Als Antwort darauf sieht er „Rechtsstaat, Regeln und Institutionen“.
Es müsse nun um die Demokratisierung des Digitalen gehen. Ohne Regulierung wird es aber nicht gehen.
EU-Kommissarin Margrethe Vestager machte in der Diskussionsrunde klar, dass die EU unter ihrer Führung an einem europäischen Regulierungswerk arbeitet. Die Regulierung von „Big Tech“ dürfe nicht zu einem Flickenteppich einzelner Ländergesetze werden dürfe. Nötig sei ein gemeinsamer europäischer Ansatz – und darauf aufbauend ein globaler Regulierungsansatz.
Europäische Lösung nötig für Facebook & Co.
Wie stark die USA und die EU gegenüber globalen Plattfoormen wie Facebook sind, wird sich allerdings erst herausstellen, wenn es diese Regulierung auch effektiv gibt.
Auch diejenigen Amerikaner, die die Macht digitaler Plattformen einhegen wollen, setzen mittlerweile stark auf Europa. Das unterstrich Ben Scott, der Geschäftsführer eines Thinktanks, der Lösungen für die Herausforderungen des digitalen Strukturwandels entwickelt.
Die EU besitze die Expertise, den Willen und die Institutionen, um entsprechende Rahmenbedingungen für eine Demokratisierung des Digitalen zu etablieren. Scott fügte zugleich an, dass es seiner Meinung nach nicht die Absicht digitaler Firmen wie Google und Facebook gewesen sei, „auf der falschen Seite der Geschichte“ zu stehen. Er hält die Konzerne für fähig, sich zu ändern und trotzdem weiter Geld zu verdienen.
Scott erklärte, es brauche „Regeln, die Daten zu regulieren – und die Verrückten wieder an den Rand zu drängen“. Damit meinte er zum einen eine Kontrolle der Erhebung von Nutzerdaten. Und zum anderen meinte er aber auch die Nutzerinnen und Nutzer sozialer Netzwerke, deren Ziel es ist, mit der Verbreitung von Hass und Desinformation die Gesellschaft zu destabilisieren. Gegen solche Nutzerinnen und Nutzer würden Facebook und Co. nicht genug unternehmen, weil es auch Teil ihres Geschäftsmodells sei, möglichst wenig einzugreifen.
Rechtsgerichtete Seiten profitieren von Fehlinformation
Wie stark Facebook & Co. von Fehlinformationen und Verschwörungstheorien profitiert, und wie stark gleichzeitig insbesondere rechtsgerichtete Seiten aus dieser Verbreitung nutzen ziehen, hat eine Studie der Forschungsplattform Cybersecurity for Democracy der New York University untersucht.
Vor allem rechtsgerichtete News-Seiten haben durchschnittlich um 65 Prozent mehr Aufrufe, wenn sie Fehlinformationen verbreiten.
Quellen:
„Ausgleich und Mäßigung stören das Geschäft“ (WELT online)
Facebook: Fake News bringen grösstes Publikum (persoenlich.com)
Far-right news sources on Facebook more engaging (medium.com)
Anmerkungen:
Die Regulierung der Social-Media-Konzerne ist ebenso dringend wie komplex. Es kann nicht sein, dass der inzwischen bedeutendste Diskursraum für politische Meinungsbildung nur durch die Geschäftsinteressen von Konzernen bestimmt wird und ausschliesslich nach deren Regeln spielt. Die Politik und die Zivilgesellschaft sollten sich diesem Thema mit Nachdruck annehmen. Gute Einführungen in die Problematik bieten folgende Bücher:
„Übermacht im Netz“. Warum wir für ein gerechtes Internet kämpfen müssen von Ingrid Brodnig
Zur Funktion von YouTube und Facebook bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien siehe auch:
YouTube als Propagandakanal für Verschwörungstheorien
Wie Verschwörungstheorien auf YouTube das Weltbild von Jugendlichen prägen
Videos als Propagandamedium für Verschwörungstheorien
Unakzeptabel: Facebook hat QAnon-Verschwörungsideologie gefördert
Facebook fördert Verschwörungstheorien